Das Abendland und seine Retter

Wie ein reaktionärer Kampfbegriff entstanden ist.

Es scheint sich schon um einen besonders tragischen Fall zu handeln: Wieder und wieder muss das Abendland gerettet werden, mal vor Belgrad oder Wien, mal in Tannenberg oder Stalingrad – und heute vor allem in Dresden. Mal sind es deutsche oder polnische Landsknechte, ein anderes Mal SS-Einsatzkommandos, Fußball-Hooligans oder bayerische Honoratioren, welche den armen Komapatienten am Leben erhalten.

Abendland, das „waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte.“ (Novalis, Christenheit oder Europa, 1799 [Orthographie des Originals]). Allerdings hat es dieses Abendland niemals gegeben, sondern es wird erst erfunden, als mit der Aufklärung und mit der französischen Revolution die „schönen glänzenden Zeiten“ des Mittelalters ihr Ende gefunden haben. Somit diente der Begriff des Abendlandes schon in seinen frühesten Anfängen zur Begründung eines reaktionären Konzeptes von Staat und Gesellschaft.

Im 19. Jahrhundert vor allem in der deutschen Romantik wird das Konzept noch stärker akzentuiert und in den Rang einer Ideologie erhoben, derer sich viele Strömungen aus dem rückwärtsgewandten Spektrum bedienen. Selbst die Nationalsozialisten, welche ja bekanntlich eine nahezu unendliche Distanz zu „einem christlichem Land“ und zu einem „menschlich gestalteten Welttheil“ hatten, entdecken im Verlaufe des Krieges das Abendland.

So ist es nur folgerichtig, dass in der frühen Bundesrepublik sich die antiliberalen und antikommunistischen Kräfte unter der Fahne des Abendlandes erneut versammelten (Abendländische Akademie).

Die Geschichte des Umganges mit diesem Begriff lässt es zu, auch die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) und ihre Verwandten als das zu entlarven, was sie sind: Reaktionäre Feinde einer liberalen und demokratischen Gesellschaftsordnung.

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Tierisch literarisch – eine Mitmachveranstaltung

Es hat schon Tradition, dass die Besucher des Salon de Steils immer wieder einmal literarische Texte vorstellen, die sie ganz besonders mögen und von denen sie meinen, dass auch andere daran ihre Freude haben könnten. Dieses Mal soll es animalisch werden, denn wir wollen uns dem riesigen Feld der Tierliteratur zuwenden.

Tiergeschichte, Tiermärchen, Tiergedicht, Tierepos, Tierfabel …, egal aus welchem Jahrhundert oder Jahrtausend, jeder darf das verlesen, was ihm gefällt. Einzige Bedingung: Die Protagonisten müssen Pfoten, Hufe, Tatzen, Klauen, Flügel oder Flossen haben.

Ernst, heiter, besinnlich oder auch obszön – auf die Mischung kommt es an.

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Kathedralisch III: Das Tympanon des Berner Münsters

Ein Vortrag von Dr. Martin Kersting

Die Schweiz ist schon ein bewunderungswürdiges Land: Wofür wir in Deutschland einen Weltkrieg verbunden mit Tausenden von Fliegerangriffen brauchen, das schaffen unsere südlichen Nachbarn komplett aus eigener Kraft. In den reformierten Kantonen sind die Kirchengbäude genau so öde und leer wie etwas in St. Marien in Lübeck, welche ihre gesamte Ausstattung in dem ersten großen Bombenangriff auf eine deutsche Stadt am 28. März 1942 verloren hat.

In Bern, Basel, St. Gallen, Genf und (mit gewissen Einschränkungen) Zürich haben schon die zwinglischen und calvinschen Barbaren in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts für tabula rasa gesorgt, während in Deutschland Martin Luther sich „seinem“ Taliban Andreas Bodenstein von Karlstadt mutig gegenüber stellte, welcher schon eifrig dabei war, zum Beispiel die Wittenberger Schlosskirche platt zu machen. Das Inventar von St. Sebald oder St. Lorenz in Nürnberg konnte nur aufgrund einer direkten Intervention Luthers gerettet werden.

So ist es um so erstaunlicher, dass in Bern am Münster ein einzigartiges Denkmal des vorreformatorischen Glaubens erhalten geblieben ist, selbst wenn es in einigen wesentlichen Punkten im 17. Jahrhundert reformatorisch korrigiert worden ist. Das Tympanon zeigt ein jüngstes Gericht und reiht sich damit in die Reihe der großen Kathedralen seit dem 12. Jahrhundert ein. Allerdings weist es so viele Abweichungen im ikonographischen Programm etwa von Straßburg oder Freiburg auf, dass es einer gesonderten Betrachtung Wert ist.

Eine waschechte Sensation für das 15. Jahrhundert ist zum Beispiel die gegenüber Straßburg, Basel, Regensburg, Bamberg oder Freiburg völlig andere Einschätzung des Judentums. Werden sonst die Tympanoi genutzt, um antjudaistische Propaganda zu verbreiten, so kann man für Bern ein große Hochachtung für das Judentum konstatieren, die so weit geht, dass man sich sogar über kirchliche Dogmen hinweg setzt.

Das Relief ist aber nicht nur geistesgeschichtlich von Bedeutung. Die mehr als zweihundert Figuren liefern auch einen Einblick in die sozialen Sichtweisen einer bedeutenden Handelsstadt.

Der Vortrag schließt an zwei andere von mir gestaltete Veranstaltungen zur Turmvorhalle im Freiburger Münster an. Ich habe damals die These auf gestellt, dass eine mittelalterliche Kathedrale sprechen kann und wir sie verstehen können, vorausgesetzt, dass wir über die entsprechende Grammatik (= kirchliche Dogmen) und das zugehörige Wörterbuch (= christliche Ikonographie) verfügen. Diese These möchte ich vertiefen, wobei wir in Bern mindestens einen neuen Dialekt erlernen müssen.

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Im Salon: Herz der Finsternis

“Herz der Finsternis” ist eine Erzählung Joseph Conrads, die uns in den Kongo des ausgehenden 19. Jahrhunderts führt. Viele von uns kennen die Geschichte oder ihre ‘Verfilmungen’, ‘Apocalypse Now’ und ‘Aguirre oder der Zorn Gottes’. Für die Figur des Kurtz stand der deutsche Kolonialist Carl Peters Pate. Anhand des Textes führt uns Goswin Luksch auf eine Reise in die Zeit des Kolonialismus zu einem der scheußlichsten Verbrechen der Menschheit ohne zu vergessen, dass das “Herz der Finsternis” auch eine Reise ins ICH schildert.

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Die „Limpieza di Sangre“ und die Entstehung des Kastenwesens in Südamerika

Ob das Spanien des 15. Jahrhunderts mustergebend für den modernen Rassismus mit seinen schrecklichen Folgen vor allem im 20. Jahrhundert war, ist in der Forschung umstritten. Jedenfalls führt das iberische Land mit der Reconquista einen Nachweis für nahezu alle weltlichen und kirchlichen Ämter ein, der dem Besitzer altchristliche Abstammung attestierte. Damit sollten vor allem getaufte Juden von der Teilhabe an Staat und Kirche ausgeschlossen werden. Der Franziskaner Alonso di Espina konstatierte eine biologische Vererbung des Christentums und hat diese Sicht aufgrund seiner Stellung als Beichtvater Heinrichs IV. von Kastillien auch in die Gesetzgebung einfließen lassen.

Bis heute sichtbare Folgen hat die Limpieza di Sangre (Reinhaltung des Blutes) in den vormaligen spanischen Kolonien in Süd- und Mittelamerika, welche Hidalgos, Indios, Mestizen und Mulatten unterschiedlichen Kasten zuwies.

Martin Kersting wird die Entwicklung in Spanien darstellen und Dorothea Kersting blickt über den Atlantik.

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