Let it roll…

IKON. Dem Stadtteil Steilshoop fehlt es an Verschiedenem: ein gediegenes Einkaufszentrum und eine schöne autofreie Piazza stehen ganz oben auf der Liste. Über manches verfügt der Stadtteil allerdings auch in großzügiger Segnung: üppiges Grün (das vom Zerberus der Gruppe Kahlschlag stoppen bewacht wird), einen großen See mit Reiherinsel, verkehrsberuhigte Wege, Betreuungseinrichtungen für Kinder, Jugendliche und Bedürftige. Und seit neuestem gibt es sogar etwas, dass es nur hier gibt und einzigartig ist: ein blauer Planwagen rollt durch die Ringe. Der als „Planwagen“ bezeichnete Bauwagen ist ein Vintage-Schnäppchen, geschossen von einer rührigen Gruppe Steilshooper & Friends, die in liebevoller Putz-und Pinselarbeit dem ehrwürdigen Bauarbeiterrefugium mit neuer Farbe auch neue Aufgaben übertrugen. Unter der Fragestellung „Was fehlt dem Stadtteil?“ war deren Antwort „ein Ort an dem man fröhlich und spontan und auch bei Regen gesellig zusammenkommen kann und zwar da, wo man will“.

Die Planwagenidee war geboren. Im puristischen Inneren gibt es ein Besucherbuch, indem sich Steilshooper mit ihren Wünschen, Ratschlägen und Plänen eintragen können und ein Gesprächsbuch, indem die Planwagenaktivisten ihre Erfahrungen vermerken. Sie wollen die zwanghafte Fixierung auf das hässliche Zentrum ein Stück weit auflösen und auf die Schönheiten des Stadtteils aufmerksam machen, sowie auch auf die Aktionen der engagierten und freundlichen Menschen. So war der erste Auftritt des Planwagens auf dem Sommerfest der Mieterinitiative auf dem Gelände des JETZT. Da es sanft regnete, erweiterte der Planwagen den Bewegungsradius der Feiernden. Auf Bänken und Höckerchen – gemütlich im Trockenen – saß bald eine Gruppe von Menschen, die sich eifrig über das Wohnen, nicht nur bei der Vonovia, austauschten.

Der erste eigene Planwagen-Autritt war am Donnerstag, den 5. Juli, dem ersten Ferientag, school‘s out genannt und auch deswegen ein Publikumsmagnet. Mit Malkreide und Seifenblasenmaterial großzügig ausgerüstet, tummelten sich bald viele Kinder rund um das blaue Wunder. Der ein oder andere Blaubeermuffin diente zur Stärkung für die kleinen Kritzler, die neben Herzen und ihrem Namen, Sonne und Tierchen auch einen Zebrastreifen kreierten. Freundlich lächelnde Autofahrer entdeckten ihr „Herz für Kinder“ und rollten deutlich langsamer durch die „Spielstraße“. Aber auch die Großen waren kreativ und hatten den Planwagen vorher durch Plakate verschönert, die den Zusammenhang von Ort und Nutzung herstellten. Zwischen zwei aufgenieteten Schienen konnte man fünf Bilder betrachten, die die „Zentrumshaftigkeit“ zum Thema hatten. Unter Fragestellungen wie zum Beispiel: “Wo ist Ihr Zentrum? Hier in Steilshoop oder irgendwo anders? Was machen Sie hier am Tage? Oder abends? Gibt es hier Orte für nettes Beisammensein? Zu zweit oder mit Freunden?“ entstanden intensive Gespräche. Anders als bei bezahlter klassischer Projektarbeit sind die Zusammenkünfte ergebnisoffen und Gespräche mitunter überraschend. Manche wünschten sich einen lebendigen Wochenmarkt, andere erinnerten sich wehmütig an die Zeiten, als es noch unterschiedliche Geschäfte im EKZ gab. Eine muslimische Frau mit ihren Enkeln freute sich, so viele Leute zu kennen und betonte den dörflichen Charakter des Stadtteils. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Post klagte über Unrathaufen, während der Renovierung am Gropiusring /Ecke Fritz-Flinte-Ring, eine Bewohnerin über nächtlichen Lärm im Schreyerring (Nomen est Omen?).

Auch Freunde und Bekannte aus anderen Stadtteilen erschienen zur Premiere, die übrigens bei strahlendem Wetter stattfand. Aus Freude über die Aktion waren viele in blauer Kleidung erschienen, was dem Auftritt ein wundersames Flair verlieh und den Slogan „Blau statt Grau“ auf den Plan rief. Für gemütliche Zonen sorgten blauweiße Sonnenschirme, Höckerchen auf Rollen, die man so zusammenstellen konnte, wie man es nett fand zu sitzen. Der Hit war ein blaues Sofa, welches eine Aktivistin mit ihrem Fahrradanhänger herbei transportierte. Gemütlich wie im Wohnzimmer, überall Sitz- und Kaffeetassenabstellmöglichkeiten, exotische blaue Rosen, Lavendel in ultramarinen Töpfen und blaue Gießkannen rundeten die Veranstaltung ab, die an ein unbeschwertes Happening der 1960er Jahre erinnerte und einen Moment lang an die blaue Magie Yves Kleins denken ließ. Derweil sich die Kinder mit Malen und Seifenblasenherstellung beschäftigten, hatten die Großen Zeit und gute Laune für Gespräche und Scherze. Einen sehr guten Job machten die Mitarbeiter aus dem Café, die nicht nur blaue Muffins und Blaubeerkuchen anboten. Ein junger Kellner zeigte sich als virtuoser Fußballkünstler und erfreute durch gekonnte Fußballakrobatik.

Auch in Zukunft wird man den Planwagen durch den Stadtteil rollen sehen und so sollte man sich schon den 28. Juli, 14 Uhr, Ost-Achse am Schachfeld vormerken.

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