Geisterbahnhöfe und Geisterbüros

Ein Beitrag zur archäologischen Feldforschung in Steilshoop

Wie die Mehrzahl meiner Mitbürger habe ich im November 1989 die überwiegende freie Zeit vor Fernseher und Radio verbracht und ein kleines Vermögen für Presseprodukte ausgegeben, denn, liebe Kinder, man munkelte zwar etwas von diesem Internet, aber wir waren natürlich der Überzeugung, dass sich so etwas doch wohl nicht durchsetzen würde. Meine Gier nach den Sensationen, welche sich damals weit östlich meines Wohnortes regelrecht jagten, musste ich aus den alten Medien befriedigen.

Für mich – eingefleischter Bahnliebhaber seit Kindertagen – waren die wieder entdeckten Geisterbahnhöfe der U-Bahnlinien 6 und 8 in Berlin eine der größeren Sensationen. Bis heute haben für mich die Namen Jannowitzbrücke oder Schwartzkopffstraße einen ähnlich mythischen Klang wie für spanischen Conquistadoren El Dorado oder für Katholiken Altötting. Faszinierend fand ich vor allem, dass hier ein Zustand konserviert worden ist, wie er am 13. August 1961 geherrscht hat. Plakate im munteren fünfziger Jahre-Design – und der amtierende Berliner Fußballmeister BSG Motor Köpenick kündigte ein Punktspiel gegen die SG Adlershof an.

Zwar verständlich, dass die Berliner Verkehrsbetriebe in Ost und West diese Stationen umgehend wieder in Betrieb nehmen wollten, allerdings hatte das den Effekt, dass den Kulturhistorikern weitgehend die Möglichkeit genommen wurde, die Zeitdokumente ausreichend zu sichern. Zeugnis von den Geisterbahnhöfen legen nur noch Fotografien ab.

Unter dem politischen Druck musste ein wichtiger Grundsatz der archäologischen Arbeit auf der Strecke bleiben, nämlich dass bei Grabungen der Zeitfaktor keine Rolle spielen darf und dass zunächst ein Objekt gesichert werden muss bevor man sich einer neuen Fundstelle zuwendet. Musterhaft wird dieses Prinzip zum Beispiel in Pompeji verwirklicht: Obwohl seit rund 250 Jahren dort gegraben wird, ist nicht einmal die Hälfte des im Jahres 79 nach Christus durch einen Vesuvausbruches verschütteten Städtchens frei gelegt.

Leider, leider wird dieser Grundsatz in Steilshoop nahezu sträflich missachtet: Sämtliche Kapazitäten der vor- und frühgeschichtlichen Forschung sind auf den U-Bahnhof, der einer Legende nach unter dem Einkaufszentrum liegen soll, konzentriert, während ein anderes aufgegebenes Objekt völlig ungesichert Wind und Wetter ausgesetzt ist: Das Stadtteilbüro am Schreyerring, in dessen Schaufenstern wie auf den Berliner Bahnhöfen Plakate längst vergangener Zeiten prangen, das schon lange nicht mehr von Bürgerinnen und Bürgern des Stadtteils betreten worden ist, ist zwar kein wichtiges, aber interessantes Dokument aus der Geschichte des Stadtteils. Auch Hoffnungen und die aus ihnen resultierenden Enttäuschungen müssen ihren Platz in der Erinnerungskultur Steilshoops haben.

Deswegen, liebe Archäo- und Speleologen richtet Euren Tatendrang auf den Schreyerring und lasst die U-Bahnstation noch ein wenig in ihrem jahrzehntewährenden Schlummer. Die Nachwelt wird es Euch danken!

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