Zur Ambivalenz einer Bilanz

Neun lange Jahre aus der Sicht des Gebietsmanagements

Wie gerne würden wir mit dem Gebietsmanagement (Fachamt für Sozialraummanagement und Lawaetz-Stiftung) und dem Stadtteilbeirat in Frieden und Harmonie leben! Steilshoop wäre dann zwar auch keine Insel der Seligen, aber man könnte die Kräfte bündeln, gemeinsam mit frischer Energie zukunftsfähige Projekte angehen, überhaupt die individuellen Interessen und Fähigkeiten wesentlich besser zum Wohle des Stadtteils einsetzen. Deshalb erfüllt es uns auch mit großer Freude, dass die beiden Beteiligungsgremien Koordinierungskonferenz und Stadtteilbeirat ein noch ganz zartes Pflänzchen namens Hoffnung gepflanzt haben, indem sie Gespräche miteinander vereinbart haben.

Unter diesem Aspekt empfindet der Autor beim Schreiben dieses Artikels auch nicht die sich sonst immer einstellende Lust, wenn es wieder einmal gegen seine (hoffentlich vormaligen) Leib- und Magengegner geht. Andererseits kann man kaum umhin festzustellen, dass der Stadtteilbeirat sich eine Schusseligkeit par excellence geleistet hat, die auf einer kritischen Webseite thematisiert werden muss.

Er hat sich dafür ausgesprochen, die Hauptförderphase für das Fördergebiet Steilshoop um weitere vier Jahre bis zum 31.12.2021 zu verlängern.

Nein, das ist noch nicht die Schusseligkeit, denn es ist das gute Recht des Stadtteilbeirats, derartige Voten abzugeben. Problematisch ist der Zeitpunkt, an dem man seinen Treueeid gegenüber der Lawaetz-Stiftung und dem Bezirksamt Wandsbek erneuert hat. Dieser wurde auf der Oktobersitzung abgeleistet; also über einen Monat bevor am 22. November eine Bilanzierung der bisher geleisteten Arbeit des Gebietsmanagement erschienen ist.

Bei dieser zeitlichen Abfolge muss man feststellen, dass einerseits eine kaum vorstellbare Arroganz des Gebietsmanagements vorliegt, die Stadtteilbeiratsmitglieder zu einem Votum für eine Verlängerung aufzufordern, ohne dass es irgendeine Form von Rechenschaft über die vergangenen neun Jahre gegeben hat, andererseits ist eine unglaubliche Vertrauensseligkeit bei den Stadtteilbeiratsmitgliedern zu konstatieren, welche sich diese Frechheit haben bieten lassen. Es wäre die Gelegenheit gewesen, die gesamte bisher stattgefundene Entwicklung einmal kritisch zu beleuchten und vor allem die gemachten Erfahrungen – positive wie negative – in die weitere Arbeit einzubringen. Wir, die Redakteure von „forum-steilshoop“ als personae non grata verfügen ja über ein gewisses Verständnis dafür, dass ein Mitglied des Stadtteilbeirates unsere Beiträge zu diesem Themenkomplex nur heimlich lesen darf, aber den Rückblick auf das eigene Tun den eigenen Leuten vorzuenthalten, fällt ohne jeden Zweifel in die Kategorie gelenkte Demokratie.

Letztendlich ist das aber nur das Problem des Stadtteilbeirates. Uns hindert keiner daran, das Geleistete zu diskutieren und uns weiter kritisch mit den im IEK formulierten Entwicklungszielen auseinanderzusetzen.

Der gesamte Text der Bilanzierung ist insofern eine Überraschung, als dass er in vielen Punkten inhaltlich gar nicht so weit von unserem Rückblick (Erstveröffentlichung am 15. September 2017) entfernt ist, allerdings fällt die Wertung häufig völlig anders aus. So ist bei uns die nochmalige Verschlechterung der sozialen Situation der Steilshooperinnen und Steilshooper der Indikator dafür, dass der Gebietsentwicklungsprozess gescheitert ist (S. 87), während diese Aussage in der Bilanzierung auf S. 16 in der Mitte des Textes versteckt ist: „Fasst man die Befunde [und zwar des Sozialmonitorings und der Daten des Statistikamtes Nord] zusammen, so zeigt sich, dass auch die Daten des Statistikamtes Nord die zuvor beschriebene Einschätzung des Sozialmonitorings bestätigen: die sozialstrukturelle Problemlage in Steilshoop hat sich in der bisherigen Förderphase nicht verbessert. Sowohl im Sozial- wie im Dynamikindex ist gegenüber der Situation von 2010 eine Verschlechterung eingetreten und das Gebiet weist nach wie vor in den armutsrelevanten Merkmalen – primär in der SGB-II-Quote und dem Transferbezug – gegenüber der Lage in Wandsbek bzw. der Gesamtstadt eine weit überdurchschnittliche Belastung auf.“

Angesprochen ist auch ein anderes Problem, wenn auch in einer allzu verharmlosenden Form: Ein Transparent, wie es etwa 2004 auf einer Demonstration gegen das Auslaufen der Gesamtschule mit der Aufschrift „Steilshoop hält zusammen“ gesehen wurde, würde heute als Realsatire empfunden: Der Stadtteil ist gespalten. Eine gelungene Nickeligkeit, auf die ich fast ein wenig neidisch bin, ist die Darstellung des tiefen Konfliktes, der durch Steilshoop geht: „In starker Vereinfachung lassen sich Bewohnerinnen und Bewohner mit nur geringen Beteiligungserfahrungen und solchen, denen es um konkrete Einzelfragen geht, [sc. sowie von] beteiligungserfahrene[n] Bewohnern unterscheiden, die auf nahezu semi-professionellem Niveau spezielle Interessen zur Geltung bringen.“ (S. 62). Die „speziellen Interessen“ suggerieren, dass es sich um persönliche und sehr abgelegene Steckenpferde handeln würde. Nun ja, wenn man das Verhindern des Abholzens von rund 140 Bäumen als eine ausschließlich persönliche Angelegenheit einiger der rund 18.000 Steilshoopern betrachtet …

Überhaupt bedarf es zu dem Konflikt einer sehr grundsätzlichen Anmerkung. Obwohl diese Debatte unter immer wieder anderen Vorzeichen seit neun Jahren geführt wird, haben die Verfasser der Bilanzierung wohl nicht verstanden – oder wollen es nicht verstehen, worum es im Kern geht. Für sie ist alles nur ein Kommunikationsproblem. Dass sich hier aber zwei unterschiedliche Formen der Beteiligung gegenüber stehen, wird sehr bewusst übersehen. Während die „Semiprofessionellen“ auf basisdemokratische Elemente setzen, bevorzugen Gebietskoordinator und Gebietsentwickler ein repräsentatives System. Da letzteres auch das obwaltende auf allen politischen Ebenen in der Bundesrepublik Deutschland ist, wird immer wieder die vermeintlich größere Legitimität betont: „Der Stadtteilbeirat als gewählte Vertretung der Steilshooper.“ Dass diese „gewählte Vertretung der Steilshooper“ aber viel zu oft als Akklamationsorgan der bezirklichen Politik missbraucht worden ist, geht natürlich aus der Bilanz nicht hervor.

Wenn man die Wertungskriterien für die Zielerreichung innerhalb der einzelnen Handlungsfelder etwas auffüllt, so unterscheidet sich die Bewertung nur in einigen, wenn auch markanten Punkten von der unseres Rückblicks. Wenn zum Beispiel ein Erfüllungsgrad „im geringen Maße“ gekennzeichnet ist, so verbirgt sich in der Regel dahinter der Begriff „gar nicht“. Deutlich wird das zum Beispiel auf S. 25, wo es um ein Wohnungsangebot für sozial Bessergestellte geht. Natürlich kann das Ziel nicht erfüllt worden sein, denn es hat mit Ausnahme der LeNa (Lebendige Nachbarschaft sichert lebenslanges Wohnen im Quartier) in Steilshoop im Berichtszeitraum keine Bautätigkeit gegeben.

Ähnlich zwiespältig ist der Begriff „überwiegend“ zu werten. Dieses Prädikat hat das Handlungsziel „Verbesserung des Wohnumfelds“ erhalten. Im begleitenden Text (S. 29) wird auch zugegeben, dass die Höfe der Vonovia sich in einem verwahrlosten Zustand befinden. Was nicht erwähnt wird, ist die Tatsache, dass in dem Bereich dieser Wohngesellschaft sogar eine objektive Verschlechterung eingetreten ist. Das Adjektiv „verwahrlost“ war etwa im Jahre 2008, als die Quartiersentwicklung an ihrem Anfang stand, noch nicht von Nöten gewesen. Das Prädikat „wenig gepflegt“ hätte vollkommen ausgereicht.

Absolute Schönfärberei liegt aber dann vor, eine objektive Verschlechterung als „geringen“ Zielerreichungsgrad zu bezeichnen (Vgl. S. 39: Lokale Ökonomie). Richtig problematisch wird es, wenn irgendwelche Projekte schlicht unter „realisiert“ laufen, ohne dass nach deren Verstetigung (ehrenamtliches Engagement, S. 33; Café Nähon, ebd.) oder nach dem Sinn für das jeweils angesprochene Ziel (Frauenschwimmen, S. 32) gefragt wird.

Gelegentlich fließen Glaubensdinge mit ein: Die im sehr frühen Planungsstadium befindliche U5 zur Sengelmannstraße ist in einen „hohen Maße absehbar“ (S. 36). Wenn uns das die Kristallkugel so sagt, muss es ja stimmen.

Schwierigkeiten bereiten auch innerhalb der Handlungsfelder die Darstellung einer völligen Gleichwertigkeit der einzelnen Punkte: Zwar schön, wenn der „Runde Tisch Bildung“ weitergeführt wird, eine Katastrophe, dass es nach wie vor so viele Schulentlassene ohne Abschluss gibt. Beide Punkte befinden sich aber in derselben Tabelle (S. 41).

Durch solche Tricks kommt es dann in der Bilanzierung der Gebietsleitziele (S. 55 ff.) zur Feststellung, dass alles „überwiegend“ erreicht sei.

Es gibt auch interessensgeleitete und verharmlosende Darstellungen: Aus der Beschreibung der aktuellen Situation möchte ich nur einen Punkt herausgreifen, wo ein Weichzeichner verwendet worden ist. Auf S. 20 f. wird das Thema „Wohnen“ behandelt. Im Schlussteil heißt es: „Als börsennotiertes Unternehmen wird Vonovia die Modernisierungskosten an ihre Mieter weitergeben. Allerdings wurde der Mietanstieg bei 2,00 €/m² gekappt. Die durchschnittliche Nettokaltmiete liegt z.Zt. bei 5,50 €/m² im nichtmodernisierten Bestand: In den bereits modernisierten Wohnungen stieg die Miete auf durchschnittlich 7,43 €/m². Bei den Genossenschaftswohnungen liegt die Grundnutzungsgebühr im Bereich von 5,96 bis 6,70 €/m²“ (Identischer Text S. 26). Die Zahlen können nicht stimmen! Ich wohne in einer nichtmodernisierten Wohnung der Vonovia und zahle wie meine Nachbarn auch mittlerweile knapp 7 €/m². Hier wird die Kumpanei von Wohnungswirtschaft, Politik, Verwaltung und eben Gebietsmanagement deutlich. Unabhängig davon kommt hinzu, dass eine Kappung des Mietanstieges auf 2 €/m² für die meisten Bewohner eine schiere Katastrophe ist. Hier wird ein neuer Anlauf genommen, das auf S. 27 formulierte Leitziel, ein Wohnangebot für sozial Bessergestellte zu schaffen, zu verwirklichen. Wie in anderen Stadtteilen auch, bedeutet das die Vertreibung der bisherigen Mieter.

Auf S. 26 wird diese Entwicklung auch noch als Erfolg gefeiert: „Zwar ist es im Fördergebiet in der Laufzeit der Gebietsentwicklung auch zu Mietsteigerungen gekommen, aber verglichen mit der Entwicklung auf dem Hamburger Wohnungsmarkt insgesamt zählt der Wohnraum in Steilshoop im Durchschnitt noch zum preisgünstigen Segment.“ Hier kann man nur anmerken, dass Steilshoop gegenüber Blankenese oder Harvestehude, aber auch Teilen von Eimsbüttel immer zum preisgünstigen Segment gehört hat und in Zukunft auch gehören wird. Interessant wäre ein Vergleich des relativen Preisanstieges – und man wird sicher feststellen können, dass Steilshoop sich da in einer dramatischen Aufholjagd zu den etablierten Stadtteilen befindet.

Auf das Thema Wohnen und Mieten bin ich in meiner Kritik deswegen etwas ausführlicher eingegangen, weil hier deutlich wird, in welchem Maße der Stadtteilbeirat versagt hat, als er nicht nach einer Bilanz für die vergangenen neun Jahre gefragt hat. Man hätte im Gegenzug das Gebietsmanagement darauf verpflichten können, sich dieses existenzgefährdenden Problems anzunehmen.

Manche Theorien sind gelinde gesagt gewagt. So hat mich nachfolgender Satz ein klein wenig verblüfft: „Viele Steilshooper*innen mit Migrationshintergrund leben schon seit etlichen Jahren in Steilshoop. Es gab zwischen den verschiedenen Gruppen keine Auseinandersetzungen, aber auch kein gemeinsames Handeln.“ (S. 31) Ich habe mit zahlreichen Menschen vor allem türkischer, polnischer und iranischer Herkunft im Elternrat der Gesamtschule zusammen gearbeitet, die diversen Rettungen des Cafés der gemeinnützigen Alraune waren nur auch wegen des Einsatzes von Migrantinnen und Migranten möglich. Natürlich sieht es in einer Bilanz besser aus, wenn komplett bei Null angefangen wird.

Es gibt eine Reihe von Aussagen, die ein schiefes Bild durch das Auslassen von wichtigen Tatsachen vermitteln. So ist es zwar richtig, dass der Bau des Marktplatzes sich durch „Kahlschlagstoppen“ um zwei Jahre verzögert hat (S. 30 und passim), „vergessen“ wurde aber dabei, dass es schon enorme Verzögerungen durch den zeitweiligen Ausstieg der GAGFAH (heute Vonovia) und die Erpressung durch den Eigentümer des Einkaufszentrums gegeben hat (Vgl. auch „Rückblick“, S. 56 ff.). Letztere hat der Bürgerinitiative überhaupt erst den Anlass gegeben, sich zu konstituieren, da hierdurch eine von der Planung nicht erwünschte Umfahrung des Einkaufszentrums durchgesetzt wurde. Also Parkplätze statt Bäume.

Trotz meiner zum Teil harten Kritik an der Bilanzierung freue ich mich, dass das Werk endlich vorliegt. Eigentlich hatten wir so etwas ja schon bei der ersten Verlängerung, also Ende 2014, erwartet. Dann hätten wir deutlich früher in die jetzt stattfindende Diskussion um die künftige Quartiersentwicklung einsteigen können. Ich denke, dass die beiden Texte – Bilanzierung und Rückblick – ein guter Grundstein für die Entwicklung eigener Vorstellungen und Ideen sein könnten. Nach Jahren der Rezeption vorgekauter Ideen habe ich auf jeden Fall große Lust dazu.

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2 Kommentare

  • Ang. Biermaier

    Es ist nicht zu begreifen, wie man einer Institution wie der Lawetz-Stiftung bei diesem völligen Versagen in all den Jahren, gemeinsam mit Bezirksamt und Stadtteilbeirat, auch noch eine Verlängerung andient – bis 2021! Es ist nicht zu fassen! In all den Jahren hat sich lt. nun vorgestellter Bilanzierung absolut nichts Positives ergeben. Es rauscht also ein “weiter so” in den kommenden Jahren auf die Steilshooper hernieder; die dringenden Probleme des Stadtteils werden weiterhin nicht in Angriff genommen – und die Steilshooper müssen auch die nächsten Jahre um jedwede Verbesserung in dem Stadtteil kämpfen gegen uneinsichtige Politiker und finanzielle Ausbeuter. Kann dieser Unsinn noch gestoppt werden???

  • Insider

    Steilshoop wird zweigeteilt, die Armen werden vertrieben, die Eigentümer sehen die $$. Ein Blick auf Airbnb reicht um die wahren Ziele der Kapitalisten zu sehen.
    Steilshoop braucht keine Bahn, Hamburg geht es wie München bald. Dort wo die Bahn ist, wird wohnen unbezahlbar.

    Und zu vonovia: Natürlich werden die Steigerungen in Zukunft noch höher ausfallen.
    Der Hass in der Bevölkerung baut sich aber langsam auf, den ich verstehen kann. Sobald die Bahn da ist können 30% der Mieter in den Wohnungen deren Bindung ausgelaufen ist einpacken.

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