Wohin geht die Reise? Teil 2

beitrag-headerUnser Quartier gilt als Kleinod am Wasser. Gelegen inmitten vielgestaltiger Natur zwischen idyllischem See, Schrebergärten und mäanderndem Wasserlauf. Weitläufige gepflegte Promenaden machen Einheimischen und Besuchern das Leben zum Kuraufenthalt. Alter Baumbestand sorgt für leises Rauschen, gute Luft und Vogelsang. Von St. Eileshoop ist hier die Rede. Ein Stadtteil, der sich kurzerhand umbenannte, als die Bewohner erkannten, welches Potential sie besaßen und selbst behalten wollten. Die Vorstadt am Wasser, eingebettet zwischen dem Lauf der Seebek, dem Bramfelder See und den Teichlandschaften des Ohlsdorfer Parkfriedhofs haben schon manchen Geist zum maritimen Räsonieren inspiriert. So hat zum Beispiel der Architekt Friedrich Osmers bei einem Freiraumspaziergang 2009 freimütig berichtet, dass er als Neu-Hamburger den maritimen Eindrücken fasziniert erlegen war und die Hafenimpression der Landungsbrücken kurzerhand auf das landseitig gelegene Steilshoop übertrug. So erklären sich Flaggenmast, Wind- und Wasserspiel und Anker mitten platten Landes. Ein Quiddje, den das Flair der See verlockte, ausgerüstet mit einer gewissen Wirkmächtigkeit, Phantasie und edler Einfalt allen lokalen Traditionen zum Trotz, hat die Ästhetik der Mittelachse bezogen auf die Aufgabe „Kunst am Bau“ freudig um maritime Assoziationen herum entwickelt.

Vor einiger Zeit nun hat sich eine Schar Künstler und Künstlerinnen zusammengefunden – von hier und anderswo-, um die die maritime Assoziationskette in ihren Werken aufzunehmen und daraus ein feines Gebilde zu weben. Siehe Teil 1

Mariana Fernandes Martins

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Die Künstlerin Mariana Fernandes Martins nahm in ihren Sommerarbeiten Bezug auf die von Freiraumarchitekt Osmers gestaltete Mittelachse. Sie hat mit Skizzenbuch und Aquarellfarben ausgerüstet neben den Meeresskulpturen wie dem Anker und dem Flaggenmast Platz genommen und diese und deren Umgebung malend erforscht. Heraus kam eine performative Kunst, in der nicht nur die Umgebung, sondern auch die Passanten befragt wurden. Bei ihrer zeichnerischen Arbeit darf man Mariana Martins zusehen, sie darauf ansprechen und selbst Erlebtes, Erinnertes und Stellungnahmen beisteuern. Der kommunikative Prozess ist ein Teil des Werkes und nimmt – dem gegenwärtigen Kunstmarkt zum Trotz- eine Positionen auf, die weder veräußert werden kann, noch der unmittelbar monetären Wertsteigerung dient. Es sei denn, dass die nun als bildwürdig erlebte Umgebung den Passanten plötzlich zur „Entschleunigung“ und Kommunikation gereicht. Und dadurch an ideellem Wert gewinnt.

Nicht nur die unmittelbare Umgebung, sondern auch die Weiten des Meeres werden von der Künstlerin sehnsuchtsvoll ins Bild gesetzt. Sturmgepeitschte See und sanfte Wogen wechseln sich ab. Einsamkeit und Naturgewalten werden großformatig in menschenleere Seelandschaften übertragen, so dass neben der bewussten Kommunikation über die „Kunst an den Bäumen“ auch der Prozess der künstlerischen Selbstvergessenheit in der Stille des Ateliers offenbar wird.

Klaus-Dieter Wachs

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An maritime Symbolik knüpft Klaus-Dieter Wachs an, der in hochformatigen Ölgemälden Leuchttürme als Bilder der Hoffnung und Errettung symmetrisch ins Bild setzt. Der Künstler, der klare leuchtende Farbflächen bevorzugt, wählt mit Vorliebe Ausschnitte. So richtet er einen deutlichen Fokus auf den Bildgegenstand und baut damit ein Spannungsmoment auf. Der Betrachter sieht sich mit den Bildern vielmehr konfrontiert, als dass er in die beruhigende Entspannung einer Stadtansicht in ihrer Gänze eintauchen kann. Kontrastreich in der Farbigkeit und doch streng reduziert was Einzelheiten betrifft, wirken seine Bilder für einen Moment kulissenhaft und geben der Szenerie dadurch etwas Theatralisches. In heiterem Sonnenlicht badend ist der Bildgegenstand nicht malerisch, sondern eher grafisch umgesetzt und greift dadurch auch Werbeästhetiken auf, aber nicht um zu werben, sondern um etwas Unwirkliches, Geheimnisvolles anzudeuten.

Monumental und erschreckend ragt der Schiffsbug hoch auf. Weiß und unter der Wasserkante signalrot gestrichen, liegt der große Stückgutfrachter im Hafen, festgezurrt an einem langen Tau. Es ist gut immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel zu haben, kommt einem unmittelbar in den Sinn, wenn man Aug in Aug dem Stahlkoloss gegenüber zu stehen meint. Hamburger erkennen darin ein prominentes Schiff ihrer Hafenskyline, die Cap San Diego.. Rechts sehen wir die schematisierten Häuser einer Küste im Flachdachambiente, zur linken schon das offene Meer. Klaus Wachs baut hier eine Perspektive auf, die den Betrachter winzig macht. Wohin auch immer die Reise dieses Dampfers gehen wird, der Betrachter wird sich anstrengen müssen an Bord zu kommen.

Fischerboote am Strand“ zeigt die Impression, die einer Ansichtskartenromantik entsprungen sein könnte. St. Ives gibt uns den möglichen Ort des Geschehens an. Wir vermuten eine Stadt in der Grafschaft Cornwall, die nicht nur als beliebter Ferienort gilt, sondern auch als Künstlerkolonie bekannt ist.  Aha! Dahin ging also die Reise! Künstler suchen Künstlerkolonien auf!?

Doris Pawelczak

doris doris2Action pur bietet uns die schnittige Rückenansicht des jungen Helden, der sich im Wildwasserstrudel, umtost von Stromschnellen auf seinem Surfbrett hält. Zum Ausgleich der Bewegung  ist der „Surfer“ in die Knie gegangen, Professionalität suggeriert sein sportlicher Anzug, auch trägt er Handschuhe sowie Stiefel. Die pure Neugier lässt den Betrachter diesen engen Bildausschnitt beklagen. Wo ist das nur aufgenommen und von welcher Warte aus drückt die Fotografin ab? Und natürlich: kann er sich halten, der junge Surfer?  Von dem wir nichts erfahren, als diesen einen Sekundenbruchteil seines sportlichen Lebens.

Spiegelglatt liegt der See vor uns. Himmel und Meer gehen ineinander über. Kähne und Jollen dümpeln vor sich hin. Ein Holzsteg ragt einladend ins Bild. Der Jachten Mastenwald reckt sich kerzengrade gen Himmel. Pawelczaks Reisepause thematisiert „den Moment davor“. Gleich wird der Steg betreten, das Bündel in das kleine Motorschiff geworfen und die Jacht angesteuert. Und dann geht’s los. Ahoi! Menschen werden über den Steg trampeln, das Wasser wird sich kräuseln, die Ruhe vom Motorlärm durchbrochen werden. Aber noch atmet alles Ruhe und Schläfrigkeit, Ach, ein Hauch von Ewigkeit, von „könnte es doch immer so sein“ fliegt uns an.

Annette Pankow

annetteAber nicht nur ferne Länder wecken Gefühle der Sehnsucht. Auch das Heimweh, die Sehnsucht nach Zuhause ist in Annette Pankows Werk eingeschrieben:

„Hamburg ist für mich wirklich das “Tor zur Welt”. Von hier aus habe ich alle Möglichkeiten in die Welt zu gehen und zurück ins Nest zu kommen. Überall auf der Welt in den größeren Häfen sehe ich Schiffe, die hier manchmal auch im Hafen liegen. Container aus Hamburg die mir ein Stück Heimat geben und hier an der Elbe in Övelgönne das Fernweh bringen. Somit verbinden die Container wie ein Netz, die ganze Welt.“

Rohullah Kazimi

rohullah1 rohullah2Fröhlich steht ein Pirat, angetan mit allen Erkennungszeichen seiner Zunft, am rechten Bildrand, derweil er stolz zur Linken sein Schiff präsentiert. Der Pirat, durch Schlapphut, Augenklappe, wallendem Bart, langen Haaren, Piratenmantel und Schnallenstiefel allen Filmfreunden auf engste vertraut, steht gut gelaunt am Kai. Der Wind bauscht derweil die Segel seines stolzen Schiffes an dem wir die Totenkopffahne wehen sehn. Trotz des Wissens um die Gewalttätigkeit dieses nicht ganz konventionellen Berufstandes wirkt die gute Laune mitreißend. Warum soll nicht ein Pirat heiter und froh gestimmt an Deck gehen? Und laut dabei singen: “Zehntausend Mann auf des toten Mannes Kiste. Johoo und ne Buddel voll Rum…“

Nicht nur das Schiff wirkt seltsam exotisch und der Begriff Dschunke wäre hier wohl angebrachter, auch die Rückenfigur gibt zu erkennen, dass wir in Asien weilen. Asiatischer Bauernhut und Bambustange mit daran befestigten Körben machen die Exotik fein deutlich. Ein fernes Inselreich weißt ortsspezifische Bäume auf, sturmzerzauste Krüppelkiefern wachsen in unwirtlichem Gelände wie zähe Pilze am nackten Fels. Besonders liebevoll sind die seltsam ornamentalen Wolken ins Bild gesetzt. Rouhulla Kazimi schildert uns ferne und vergangene Welten, die durch die Technik der Zeichnung märchenartigen Charme verströmen. Kraftvolle Linienführung und die Nähe von Mensch und chinesischem Drachenschiff zeichnen sein vitales Werk aus.

Ilona Konrad

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Wenig Paradies, zumindest wenn man kein Haifisch ist, ist im „Haifischparadies“ von Ilona Konrad zu finden. Große gefräßige Fische bedrohen die seltsame Mannschaft eines Segelbootes, deren Besatzung übergroß und verrenkt über dem Schiff zu schweben scheint. Das Meer besteht aus gefährlichen, spitzzahnigen Mäulern und auch das Schiff scheint nicht der sicherste Ort zu sein. Die Glieder der applizierten Figuren sind mit Metallklammern zusammengeheftet und erinnern so an die Hampelmann-Figuren, die als Spielzeug einst durch ein ruckartig zu ziehendes Fädchen in Bewegung gebracht wurden. Die metaphorischen Ebenen die dadurch angeregt werden, sind vielfältig und beinhalten vermeintliche Sicherheiten wie das haifischumzingelte Schiff und Narren, die mit Pistolen und Handys zu gleicher Zeit hantieren. Sehen wir hier Hampelmänner, die für einen größeren dahinter stehenden Geist auf „Fischfang“ gehen? Eine wagemutige Person wirft eine Angel aus, während sie nicht merkt, dass schon ein Fischmaul nach ihr schnappt. Als Köder dient ihr ein kleiner Tresor, der für den schnöden Mammon steht. Und die Moral von der Geschicht’? Ködere andere nicht, auf das Du nicht zum Fischfutter wirst.

Eine abstrakte Künstlerkleckserei vermutet man beim Bild „Tempest“, bevor auf den zweiten Blick offenbar wird, dass sich gerade Gischt, Regen und  Meereswogen über ein untergehendes (?) Schiff ergießen. Unter blauen Farbspritzern materialisiert sich ein Segelschiff in stürmischer See und die Dämonen der Tiefe grinsen dem phantasiebegabten Betrachter schon siegessicher entgegen. Das untergehende Schiff beinhaltet in der Ikonographie einen Kosmos von Bezügen und Symboliken, die sich alle auf Vorstellungen von Hoffnungslosigkeit, Katastrophenszenarien und Weltuntergangsstimmung beziehen. Doch verweißt der gruselige Schauer den der Betrachter empfinden mag nicht gerade auf die wohlige, trockene und warme Sicherheit, in der er selbst gerade weilt?  Indes gut aufgehoben zu sein, macht die Aufregung anderer Leute besonders bildwürdig und die eigene Gemütlichkeit noch wohliger.

Das letzte Bild bezieht sich auf das Forschungsschiff Beagle, an dessen Bord sich Charles Darwin befand. Er hat auf seiner Forschungsreise Geschichte geschrieben. Durch den unbestechlichen Wissensdrang Darwins, seine Beobachtungen und vielmehr noch seinen weiterführenden Schlüssen wurde die Evolutionstheorie begründet. Damit begann ein neues Zeitalter und das Dogma der Religion fand ein Ende. Darwin entwickelte neue Abstammungsmodelle und verwies religiöse Ursprungsideologien ins Reich der Phantasie. Die Graffiti-Schablonentechnik stellt Bezüge zur modernen Welt her und die Motive von Fisch, Schildkröte und Schiff verbinden in Größe, Farbe und Form Wasserlebewesen, Amphibien und Menschen als Entwicklungskette miteinander. In den monotheistischen Religionen völlig unmöglich, aber die Hoffnungsbotschaft lautet „Die Beagle war auch für Dich unterwegs“, so dass heutzutage jeder Mensch Befreiung und Erlösung von der Religion erfahren kann und in Freiheit durch Wissen leben darf.

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