Problemlösungen in Versailles…

…und in Steilshoop

Wie die Redaktion von „forum-steilshoop“ kürzlich erfahren hat, möchte so manches Mitglied des Finanzkreises nur positive Nachrichten aus dem Stadtteil verbreitet wissen. Der Autor dieses Textes ist natürlich schuldbewusst in sich gegangen und möchte in einem Akt der tätigen Reue eine Initiative von Bürgerinnen und Bürgern aus dem Quartier vorstellen, welche sich nahezu heroisch für ein besseres und vor allem besser riechendes Steilshoop aufopfert. Dass dabei auf die Rezepte des 17. Jahrhunderts zurückgegriffen werden, erfüllt jeden Menschen mit einem historischen Bewusstsein mit großer Freude.

Kaum einer der jährlich drei Millionen Besucher des prächtigen Barockschlosses von Versailles wird ahnen, dass er auf dem Boden einer einstmals hygienischen Katastrophe steht. Man wird lange suchen müssen, um dort einen Raum zu finden, welcher im 17. Jahrhundert als das „heimliche Gemach“ bezeichnet wurde. Allerdings funktionierten die Stoffwechselprozesse zu Zeiten des Sonnenkönigs nach den gleichen Prinzipien wie bei uns modernen Menschen auch. Was oben herein kam, musste unten wieder heraus.

Dennoch hatten Duchesse und Comtesse, Baronesse und Maitresse keine ernsthaften Probleme: Ein Barockschloss mit seine Säulen, Pilastern und Karyatiden bietet unzählige Möglichkeiten, sich eine kurze Auszeit vom höfischen Alltagsleben zu nehmen. Es gab zwar Massen von Bediensteten, welche dafür sorgten, dass der Unrat nicht überhand nahm, aber man wird davon ausgehen können, dass eine heruntergekommene Bahnhofstoilette für geruchsempfindliche Menschen ein deutlich angenehmerer Aufenthalt ist, als es das Schloss Versailles in seinen glanzvollsten Zeiten war.

Hyacinthe Rigaud, der große Porträtmaler des Ancien Régime, hat uns Gott sei Dank keine Geruchsbilder hinterlassen. Der Pariser Louvre wäre unter diesen Umständen gähnend leer. Die auf den Bildern so prächtig wirkenden Herrschaften hatten in Ermangelung von Bädern oder sonstigen Stätten der Körperhygiene einen recht unverwechselbaren Eigengeruch. Allerdings nutzte man ein Mittel, von dem man glaubte, den Ekelfaktor ein klein wenig minimieren zu können. Sowohl Schloss als auch Bewohnerinnen und Bewohner hatten einen Parfümbedarf, von dessen Ausmaßen wir kaum eine Vorstellung entwickeln können. Man wandte den alten homöopathischen Grundsatz an, bei dem Gleiches mit Gleichen geheilt werden sollte. Geruch wurde mit Geruch bekämpft, was zu der felsenfesten Überzeugung führte, sämtlichen Anforderungen der Hygiene Genüge geleistet zu haben, sofern man nur genügend Duftwässerchen verspritzte.

Was gut für den Sonnenkönig war, das ist auch für den Steilshooper von Segen. An heißen und windstillen Sommertagen leidet auch er wie weiland Ludwig XIV. oder die Madame de Pompadour unter den Ausdünstungen der menschlichen Zivilisation. Die Ursachen dafür sind allerdings etwas anders als in Versailles: Klar, so mancher Zeitgenosse nutzt die Durchgänge als „heimliches Gemach“, nicht nur die Hunde haben ihren Lieblingsbaum, aber für den mittlerweile typischen Steilshoopgeruch sorgen die Wohnungsbaugesellschaften mit ihren offen rumstehenden und malerisch in der Landschaft verteilten Mülltonnen, in welchen sich unter Einfluss der wärmenden Strahlen der Sonne interessante biologische und chemische Prozesse abspielen.

Steilshoop ist deshalb in die olfaktorische Gegenoffensive gegangen. Natürlich hat niemand die Mittel, Kolonnen von Parfümtankwagen durch die Ringe fahren zu lassen, aber das sollte noch lange kein Grund sein, vor den Duftschwaden die Waffen zu strecken. Wie in jedem modernen Krieg ist dabei „friendly fire“ natürlich niemals ganz zu verhindern, so dass hier und da schon einmal Kollateralschäden in Kauf genommen werden müssen.

So hat der Verfasser dieser Zeilen an den Wochenenden, welche unter den Hamburger Bedingungen als sommerlich bezeichnet werden, gar keine andere Wahl als sich in seiner Wohnung regelrecht einzubunkern. Aufgrund der umfänglichen logistischen Vorarbeiten seiner Nachbarschaft weiß er meist schon an den Freitagabenden, welches Schicksal ihm für die Folgetage droht. Kindergartenkindergroße Säcke mit Holzkohle werden auf die Balkone geschafft, ihnen folgen gewaltige Flaschen mit Spiritus und die Tagesproduktion eines mittelgroßen Schlachthofes. Spätestens am Samstagmittag, wenn die ersten Grills befeuert werden, greift dann der Versailles-Effekt – und alle Bakterien in den Mülltonnen müssen sich zumindest in Bezug auf ihre Wirkung auf die Nasenschleimhäute geschlagen geben. Sieg also auf ganzer Linie – auch über den zum Defätismus neigenden Nachbarn, der sich dem heiligen Krieg gegen den Steilshooper Eigengeruch verweigert.

Kann man Holzkohle, Grillanzünder und brennendes Fett als die schwere Artillerie in diesem Krieg bezeichnen, so gibt es auch noch die Waffen der Guerilla. Diese ist ja bekanntlich in der Lage schnell und vor allem zu jeder Zeit und an jedem Ort zuzuschlagen. Auch sie löst die Probleme homöopathisch, indem sie organisches Material gegen organisches Material einsetzt. Auf der Basis von Cannabis sativa oder Cannabis indica wird eine Wolke produziert, welche nahezu jedes Elend im Stadtteil vergessen lässt. Wer an einem windstillen Sommerabend mit offener Nase durch Steilshoop geht – oder auch nur auf seiner Terrasse oder seinem Balkon sitzt, der wird dem etwas muffigen THC-Geruch wohl kaum entgehen können. Der, liebe Seniorinnen und Senioren, kommt aus vielen kleinen Pfeiflein oder vielen dicken Joints, die im Kampf gegen die gärende Fäulnis unserer Mülltonnen eingesetzt werden. Gleichzeitig führt aber die dicke Wolke dem Rauschverweigerer und Deserteur im Kampfe gegen den Ekelgeruch vor die Nase, wie asozial er sich eigentlich verhält. Heroisch werfen die Nachbarn den eigenen Corpus in die Schlacht – und man selbst steht daneben und rümpft die Nase. Zumindest der Steilshooper Kiffer hat also neben seiner hygienischen Mission noch eine volkspädagogische Aufgabe, nämlich den Verweigerern die Schändlichkeit ihres Abseitsstehen einzubläuen.

So, lieber Finanzbeirat, ich hoffe, dass Ihr jetzt endlich einmal etwas Schönes über Steilshoop gelesen habt, nämlich mit welch grandiosem Engagement die Steilshooperinnen und Steilshooper ihre Probleme zu lösen pflegen. Vielleicht haben wir ja jetzt sogar einen kleinen kritischen Artikel gut.

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Ein Kommentar

  • riffels

    sehe ich die Photos, weiß ich endlich, was die SPD und die Grünen und die Linken mit “bunt” in Steilshoop und ähnlichen lost quarters immer meinen …

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