Nicht mehr ambivalent: Die Bilanz der Quartiersentwicklung
Steilshoop hat es nun schwarz auf weiß, was es immer geahnt hat: Die Quartiersentwicklung 2008 – 2017 war ein (nahezu) grandioser Erfolg – und das liegt (ebenfalls nahezu) ausschließlich an der Quartiersentwicklerin und des an ihrer Seite kämpfenden Stadtteilbeirates.
Die seit dem 22. November dieses Jahres vorliegende „Bilanzierung und Fortschreibung RISE-Fördergebiet Steilshoop“ [im folgenden Bilanzierung] hält uns arroganten Lackeln, die wir uns einbilden, seit Jahren und Jahrzehnten unsere freie Zeit zu einem nicht unbedeutendem Teil zum Nutzen und Frommen von Steilshoop einzusetzen, vor Augen, dass wir eigentlich nur ein amorpher Haufen von Nichtskönnern, Dummschwätzern und Faulpelzen sind.
Hinzu kommen schon als krankhaft zu beschreibende Ausfälle unseres kognitiven Vermögens. So bilden wir uns doch tatsächlich ein, dass aus unserem Kreis der Anstoß zu den Veranstaltungen zum vierzigjährigen Stadtteiljubiläum kam; in der Bilanzierung (S. 7) werden wir endlich aufgeklärt: „Das 2009 durch den Gebietsentwickler initiierte Stadtteiljubiläum „40 Jahre Steilshoop“ bildete einen Höhepunkt für Steilshoop“. Natürlich hat der ein oder andere Bewohner daran „mitgearbeitet“, aber der geniale spiritus rector der Veranstaltung kam aus dem Schreyerring 47. Indem nun diese Richtigstellung der historischen Fakten gleich auf den ersten Seiten verkündet wird, ist es kein wirkliches Problem, dass einige Seiten weiter eine Version steht, welche deutlich näher bei unserer anscheinend trüben Erinnerung liegt: „Die Kultur-AG gründete eine Untergruppe des Jubiläums „40 Jahre Steilshoop“. Diese Arbeitsgruppe wurde vom Quartiersmanagement unterstützt.“ (S. 22). Diese Aussage wäre nahezu konsensfähig, gäbe es da nicht die Datierung. Schon lange vor dem Auftauchen der Lawaetz-Stiftung beschäftigten sich zahlreiche Steilshooperinnen und Steilshooper mit dem Jubiläum. Wenn aber deren Tätigkeit und Überlegungen erst in das Jahr 2008 verlegt werden, dann kommt natürlich dem Stadtteilbüro die intiierende Rolle zu.
Auch bezüglich der Neuordnung der schulischen Situation in Steilshoop scheinen wir von einer schweren Amnesie heimgesucht zu werden. Auf S. 7 der Bilanzierung wird verkündet, dass der „Runde Tisch Bildung“ aus einem Arbeitskreis des Stadtteilbeirates hervorgegangen sei. Wir erinnern uns hingegen, dass der „Runde Tisch“ schon 2004 auf Betreiben der Sozial-AG getagt hat und dass die Koordinierungskonferenz ihn 2008 erneut ins Leben gerufen hat.
Überhaupt sind alle erfolgreichen Projekte auf Betreiben des Stadtteilbeirates und des Quartiersmangements entstanden: „In Steilshoop gibt es eine als Unter-AG des Stadtteilbeirates entstandene sehr aktive Verkehrs-AG“ (S. 18, ähnlich S. 35). Bei dieser Feststellung mache ich mir schon große Sorgen um meine Gesundheit. Habe ich mir nur eingebildet, dass ich in den vergangenen beiden Jahren gemeinsam mit Bernd-Dieter Schlange in meiner Eigenschaft als Sprecher der Koordinierungskonferenz etliche Gespräche in diversen Baulichkeiten der Hochbahn rund um die Steinstraße die Anbindung Steilshoops betreffend geführt habe?
Das sich Schmücken mit fremden Federn ist einfach existentiell für das Werk, wenn es trotz aller Tarnversuche einmal doch gelesen werden sollte. Wir haben vollstes Verständnis dafür, dass die recht armselige Bilanz irgendwie aufpoliert werden muss. Allerdings hätte sie gar nicht so dürftig ausfallen müssen, wie sie uns nun entgegen tritt. Man hätte nur das fremde Federvieh konsequenter rupfen müssen. Zwar wird die Kultur-AG immer wieder mal erwähnt (S. 22, 47), aber es ist der Bilanzierung nicht zu entnehmen, was sie wohl so machen könnte. Sie hat zum Beispiel 2014 die Steilshooper Vortragstage veranstaltet, wofür sie immerhin 1110,51 € (Vgl. “Rückblick” S. 46) aus dem Verfügungsfonds bekommen hat – und somit Teil der Quartiersentwicklung war. Vor allem sind dort ganz zentrale Themen aus dem Bereich der Planungen für den Stadtteil angesprochen worden, die allerdings von dem Quartiersmanagement nicht aufgegriffen worden sind. Weiterhin bemüht sie sich Monat für Monat im Rahmen des Salon de Steils um einen anspruchsvollen Vortrag, der schon einmal von bis zu dreißig Leuten besucht werden kann. Zahlreichen Künstlern aus dem Stadtteil hat sie die Möglichkeit geboten, ihre Bilder zu zeigen.
Die Negation der Existenz einer intellektuellen Mittelschicht hat wohl ideologische Gründe. Ausschließlicher Schwerpunkt des Quartiersmanagement sind die Bevölkerungskreise, welche bisher außerhalb aller Beteiligungsprozesse in Steilshoop gestanden haben. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, auch wir finden die Einbindung dieser Menschen richtig und wichtig und konzedieren auch, dass hier sicher eines der größten Versagen der Koordinierungskonferenz liegt. Allerdings hat sich das Quartiersmanagement bei der Durchsetzung dieses Ziels für eine Absprengung und Ausgrenzung der „Semiprofessionellen“ (S. 62) entschieden, welche sich in den stadtteilpolitischen Debatten immer um ein gewisses Niveau bemüht haben.
Wo wird eigentlich der „Steilshooper Büdl“ erwähnt? O.k., Armut passt irgendwie nicht so zu dem angestrebten Image des Stadtteils und muss leider deshalb außen vor bleiben.
Aus anderen Gründen werden die Projekte des Beschäftigungsträgers Alraune nahezu komplett ignoriert: Zum einen gibt es hier nun wirklich keine Feder mehr zu holen, die man sich anstecken könnte, denn sämtliche Einrichtungen dieser Firma gab es schon lange, bevor die Lawaetz-Stiftung ihr segensreiches Wirken hier entfaltete. Mit kleineren Manipulationen, wie sie etwa bei der Gründung der Kultur-AG oder der Entstehung des „Runden Tisches Bildung“ hinsichtlich der Jahreszahlen vorgenommen worden ist (s.o.), würde man sofort Schiffsbruch erleiden. Zum anderen aber richtet sich die „Bilanzierung“ nach der politischen Leitlinie, die vor allem in den Jahren 2011 bis 2015 in Hamburg verfolgt und bis heute trotz anderslautender Bekenntnisse im rot-grünen Koalitionsvertrag nicht wirklich überwunden worden ist, aus, nach der die Verbindung von Quartiersarbeit mit der Arbeitsmarktpolitik Teufelszeug ist. So ist eine der wenigen Erwähnungen von Alraune gGmbH auch recht aussagekräftig: „Die Veränderungen der Rahmenbedingungen haben während des Berichtszeitraumes dazu geführt, dass von den ursprünglich fünf im Fördergebiet aktiven Beschäftigungsträgern nur noch die Alraune gGmbH übrig geblieben ist.“ (S. 54). Diese richtige Erkenntnis hätte aber dazu führen müssen, dass in der Fortschreibung die Verstetigung der bestehenden Einrichtungen ganz oben auf die Agenda zu setzen gewesen wäre. Weil aber dieser Komplex problembehaftet ist und die Thematik in den übergeordneten Behörden nicht so wirklich erwünscht ist, hat man in einem vorauseilenden Gehorsam einfach das Handlungsfeld „Beschäftigung, Qualifizierung und Ausbildung“ aus der Fortschreibung gestrichen: „Vor allem aufgrund rechtlicher und institutioneller Rahmenbedingungen der Arbeitsmarktförderung sollten im weiteren RISE-Prozess auf dieses Handlungsfeld und dementsprechend auch auf neue Projekte verzichtet werden.“ (S. 55). So muss man sich auch für die 2021 anstehende Bilanzierung keine Sorgen machen, dass man bei der Zielerreichung in diesem Handlungsfeld wieder „im geringen Maße“ schreiben muss, welches ja, wie in einem vorhergehenden Artikel dargelegt, im Lawaetzschen Gutsprech „gar nicht“ bedeutet.
Auch in den Bereichen, die nicht unmittelbar mit der Arbeitsmarktpolitik zu tun haben, macht man sich keine Gedanken zu Alraune und den dazugehörigen Unternehmungen. So ist es zum Beispiel vorgesehen, dass die Veranstaltungsräume im entstehenden Quartierszentrum durch die Produktionsschule bewirtschaftet und betrieben werden sollen. Die Bilanzierung stellt zwar zu Recht reichlich Überlegungen über die Möglichkeiten von AGDAZ an dem neuen Ort (S. 49) an, Alraune jedoch bleibt außen vor.
Verstetigung – sicher der Dauerbrenner bei jeder Quartiersentwicklung: Wir haben in dem „Rückblick“ (bes. S. 87) schon dargelegt, wie durch die kurzen Laufzeiten einiger Projekte Geld regelrecht verschleudert wird. So scheint es zwar den Kümmerer noch zu geben, aber mit dem Wegfall der RISE-Mittel, welche 2011 und 2012 für diese Funktion hinzukamen, hat der Stadtteil längst wieder sein altes Bild angenommen. Deshalb ist es mir auch schleierhaft, warum man Ende 2017 in der Bilanzierung schreiben kann, dass das Ziel der Erhöhung der Aufenthaltsqualität und Nutzbarkeit des halböffentlichen und öffentlichen Raums „überwiegend“ (S. 29) erreicht sei.
Dass die Beratung für bedürftige Menschen „abgeschlossen“ (S. 45) sei, kann man eigentlich nur satirisch auffassen. Sämtliche Bedürftige des Stadtteils sind demnach also beraten!
Die Verstetigungsproblematik ist von der Bilanzierung durchaus erkannt worden, ja in seinem analytischen Teil (S. 22) ist es mit Abstand das Beste, was der Text zu bieten hat. Die Verfasser machen darauf aufmerksam, dass das ehrenamtliche Engagement stark im Rückgang sei. Als Ursachen sehen sie die enttäuschten Erwartungen aus zurückliegenden Beteiligungsprozessen, was auch zu einer skeptischen Einstellung gegenüber Initiativen „von außen“ (Ebd.) geführt habe. „Wenn Förderungen auslaufen, dann fallen Aufwandsentschädigungen, koordinierende Rollen und auch das Know-how von Schlüsselpersonen weg, die über längere Zeiträume Akzeptanz und Vertrauen seitens der Bewohner aufgebaut haben.“ (Ebd.). Leider wird aus dieser richtigen Erkenntnis die falsche Schlussfolgerung gezogen. Es bedarf „funktionaler Äquivalente“ (Ebd.), welche „an die Stelle bisheriger professionelle[r] Unterstützung ehrenamtlicher Netzwerke treten.“ Übersetzt: neue Profis oder Professionalisierung einzelner Netzwerke.
Aus der Erfahrung mit der Kultur-AG würde ich genau gegenteilig argumentieren. Diese wäre mit Sicherheit schon längst zerfallen, wenn funktionale Äquivalente etwa in Form von Honoraren an einzelne Mitglieder fließen würden. Geld verdirbt eben doch den Charakter – auch wenn man es gelegentlich braucht. So hätten zum Beispiel die „Steilshooper Vortragstage“ nicht stattfinden können, wenn uns der damalige Schulleiter nicht die Räume unentgeltlich zur Verfügung gestellt und der Verfügungsfonds sowie der Fonds Steilshoop Mitte Gelder für Werbung frei gemacht hätte. Honorare oder Aufwandsentschädigungen sind aber sehr bewusst nicht gezahlt worden.
Weiterhin mach es nur Sinn, ein Netzwerk zu initiieren, wenn auch ein Bedürfnis in der Bewohnerschaft besteht – und dieses Bedürfnis darf nicht durch die hohe Kunst der Überredung evoziert werden. Café Näh-on ist da sicher ein warnendes Beispiel. Positiv steht dem der Schwimmkurs für Frauen gegenüber – auch wenn ich inhaltlich wohl nicht auszuräumende Bedenken gegen eine derartige Separierung der Geschlechter habe.
Bei der Kritik an der Forderung Verstetigung des Stadtteilbeirates (S. 8) wird man mir vorhalten, dass ich mich vor einigen Jahren noch ganz anders geäußert habe. Ich bin Mitverfasser einer 2013 erschienenen Resolution, welche eben zum Erhalt all dieser Einrichtungen in Hamburg aufruft. Hinter diesen Forderungen stehe ich auch heute noch. Ohne eine breite Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist jegliche Quartiersentwicklung zum Scheitern verurteilt. Allerdings war und ist Steilshoop in einer wesentlich günstigeren Situation als die meisten anderen Stadtteile. Diese bedurften deswegen eines RISE-Gremiums, wie auch der hiesige Stadtteilbeirat in der Bilanzierung (S. 21) ausdrücklich bezeichnet wird, weil es dort in der Regel keine andere Foren der Bürgerinnen und Bürger gab. Deshalb macht es Sinn, die mit der Förderung gegründeten Beiräte in die Hände der Bewohnerinnen und Bewohner zu übergeben. Steilshoop kennt aber seit Jahrzehnten mit der Koordinierungskonferenz ein Beteiligungsgremium – und ein nach RISE noch existierender Stadtteilbeirat, der seine eigentliche Funktion verloren hätte, würde endgültig zum Zusammenbrach der Diskussionskultur in Steilshoop beitragen. Verstetigung der Beteiligung ja – aber nicht Verstetigung des RISE-Stadtteilbeirates!
Die Kritik an der Bilanz kann selbstverständlich noch weiter fortgesetzt werden – und selbstverständlich werden wir auch jede Gelegenheit nutzen, das zu tun. Da aber die künftig beabsichtigten Wohltaten ein Meinungsbild im Stadtteil noch dringender erfordern, muss wenigstens noch ein kurzer Blick auf die Fortschreibung und den damit verbundenen Zeit-Maßnahme-Kostenplan (ZMPK) geworfen werden.
Zunächst wird der Eindruck erweckt, dass eigentlich alles beim Alten bleibt, außer dass man die schwierigen Themenfelder über Bord (Arbeit, lokale Ökonomie, s.o.) geschmissen hat. Vor allem kommt sehr schnell die Frage auf, zu welchem Zweck ein Quartiersmanagement für die verbleibenden Aufgaben gebraucht wird. Die Arbeiten an der „Markt und Eventfläche“ sind nahezu abgeschlossen, um das Quartierszentrum kümmert sich Frau Soyka von der STEG, der Auftrag für die Rahmenplanung Nord ist an die Firma Luchterhand vergeben worden. So hat man noch recht mühsam die „Qualifizierung des Bramfelder Sees“ (S. 67) und die „Steuerung des Beteiligungsprozesses bei der Erstellung eines Konzeptes zur Fortentwicklung des Siedlungsbestandes unter besonderer Berücksichtigung der Parkpaletten“ (Ebd.) daran gehängt.
Der tiefere Sinn dieses ganzen Aufwandes wird aber deutlich, wenn man in den ZMPK schaut. Wir haben schon in dem Rückblick (S. 62) kritisiert, dass es der SAGA/GWG gelungen ist, ihren Kostenanteil an dem HID fast komplett durch Wohnumfeldverbesserungen (= Aufwertung der Immobilien) zurück zu bekommen. Im Rahmen der konkreten Projekte mit gesicherter Finanzierungszusage soll sie noch einmal 345.654,03 € (ZMPK S. 1) bekommen. Mit den 710.000 € aus der vorausgegangenen Förderperiode ist also weit über eine Million € allein an diese Gesellschaft geflossen.
Auch der Vonovia sind schon 560.000 € zugesagt (Ebd.) – und weitere 160.000 € stehen als Projektidee im Raum (ZMKP S. 7).
Würde Steilshoop aus der RISE-Förderung fallen, wäre diese nette kleine Subventionsquelle für zwei Konzerne, die seit Jahren atemberaubend gute Bilanzen vorlegen können, versiegt.
So findet auch die Eile, mit der die Fortschreibung durch die parlamentarischen Gremien gepaukt worden ist, die Versuche, das Werk vor dem Stadtteil zu verheimlichen, ihre Erklärung. Zwei marktwirtschaftlich orientierten Unternehmen sollen staatliche Gelder zugeschoben werden! Alles andere, was sonst noch in der Bilanzierung und Fortschreibung zu lesen ist, kann man als tarnendes Beiwerk betrachten!
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