Poetisches Kirschblütenfest 2016

Rosa Blütenträume verwandeln Straßenräume. Fernöstliches Flair und eine nachhaltige Festtagskultur mit flexiblem Freiraumaufenthaltsmöbiliar ermöglichen Spontandialoge.

Trotz anders lautender Gerüchte lieben die Steilshooper Bäume mehr als Beton. Nicht nur, daß sie sich wacker für den Erhalt derselben mittels eines Bürgerbegehrens im letzten Jahr einsetzten, nein sie befeiern ihre Baumschönheiten geradezu in hymnisch-heidnischer Weise. Aber welche Schönheiten es sind, wissen die wenigsten. Und davon soll hier die Rede sein.

Im fernen Osten des Stadtteils befinden sich Straßenzüge, die in der Woche um den ersten Mai den Eindruck vermitteln, in einem fernen asiatischen Land zu weilen. Alleen blühender Zierkirschen stehen in unwiderstehlich rosa-roter Blütenpracht und verbreiten fernöstliches Flair.

Unter diesen schimmernden Blütendächern trafen sich am Samstag, den 7. Mai Nachbarn und Baumfreunde um ein poetisches Fest zu feiern. Schon im Vorfeld wiesen einige Kirschbaumblütenaquarelle, die geheimnisvoll an manchen Bäumen hingen, diskret auf die Feierlichkeiten hin. Das Fest hatte durchaus programmatischen Charakter. Die ersten warmen Frühlingstage gemeinsam auf der Straße zu verbringen und unter rosaroten Blütendolden die Schönheit der Natur zu genießen, war vielen auch ein Bekenntnis zur nachbarschaftlichen Gemeinschaft. So vereinte sich eine kleine Schar zum Zwecke gemeinsam erlebbarer Naturfreude. Das Bürgersteigfest war auch ein Statement zur Nachhaltigkeit, denn eigene Teetassen mußten mitgebracht werden, um den japanischen Kirschblütentee zu kosten, der von der Kultur-AG ausgeschenkt wurde. Manche Gäste brachten selbstgebackenen Kuchen für alle mit. Als umweltfreundliches Transportmittel sowie als Teetisch fungierte ein Fahrrad nebst Anhänger. Gelebte Steilshooper „Crosskulture“  schloss auch Nachbarstadtteilbewohner wie Barmbeker und Bramfelder ein. Literarischer Höhepunkt  war der Vortrag japanischer Haikus aus dem russischen übersetzt mit eben diesem feinen Zungenschlag einer Literatin.

Auch bildende Kunst traf auf Freiwillige. Es wurden Kirschblüten mit Stiften gezeichnet und mit Wasserfarben gemalt, wobei eine Künstlerin besonders die Kinder zum Pinseln einlud. Die Ergebnisse der Kleinen sind beachtlich.  Aber vielleicht ist das gar nicht so ungewöhnlich, leben die Steilshooper doch in einem, zumindest den klangvollen Straßennamen nach, Künstlerviertel, wovon die  prominenten Namen von Musikern, Theaterschauspielern und Malern zeugen. Lustig und ungewöhnlich war auch die ganze Organisation der Sitzmodalitäten. Die Gäste kamen mit allerlei Varianten von Klappstühlen, Klapphockern, Faltliegen, Faltsesseln und dreibeinigen Hockern. Flexibel und mobil preferierten manche die Sonnenplätze, andere den Schatten. Und so wurde immerzu hin- und hergerückt und umgruppiert, wobei die bequemeren Sitzmöbel nonchalant auch anderen Teilnehmern angeboten wurden. Auf diese Weise entstanden immer neue Gesprächskonstellationen. Auch Passanten lud man ein. Erwähnt werden soll auch, daß „Festtagsbekleidung“ erbeten wurde.

In guter GesellschaftWie der Einzelne allerdings „Kirschblütenanzug“ vom Einzelnen definierte,  unterlag subjektiven Maßstäben. Feierlichkeiten dieser Art sollten Schule machen. Nach zweieinhalb Stunden löste sich die poetische Gesellschaft wieder auf. Übrig blieben weder Müll, noch andere Zivilisationsrückstände. Die Teetassen fanden bis auf eine wieder zurück zu ihren Besitzern. Und da alles umsonst und getauscht war und somit jeder Gast auch Subjekt der Aktion, blieb nichts an Einzelnen hängen. Es wurde kein Umsatz gemacht, keine monitäre Bereicherung angestrebt. Damit konnte auch auf die schale Art der Dankbarkeit „powered by Wohnungsgesellschaft“ verzichtet werden. Harald Welzer hätte seine Freude gehabt und würde unsere Festmanier sicher zur Nachahmung empfehlen. Wir übrigens sein Buch auch! *1

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*1 Harald Welzer, Claus Leggewie : Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie

Oder: Harald Welzer u.a. FUTURZWEI Geschichten vom guten Umgang mit der Welt

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