Ein historisches Ereignis, oder wie eines daraus werden kann
Natürlich ist es vermessen, ein Ereignis, das gerade einmal ein Jahr zurück liegt, als historisch zu bezeichnen. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass der 18. August 2015 auch in der künftigen Steilshooper Geschichte eine nachhaltige Wirkung entfalten wird. Am Nachmittag dieses Tages sind nämlich Klaus Wachs und ich in das Bezirksamt Wandsbek gefahren und haben die Unterlagen für die Einleitung eines Bürgerbegehrens für den Erhalt der grünen Mitte Steilshoops abgegeben. Heute, am 19. September 2016 haben wir die geänderten Pläne für die Markt- und Eventfläche zur Kenntnis genommen, und sie entsprechen ganz genau den Vereinbarungen vom Januar dieses Jahres.
Das ist aber noch nicht das Ereignis, das einen Anspruch hat, historisch genannt zu werden. Die Bedeutung liegt viel mehr in der Tatsache, dass Steilshooperinnen und Steilshooper ihre Rollen als Objekte aufgegeben und selbst in die Handlungsabläufe eingegriffen haben. Probleme und Konflikte wurden im Stadtteil bisher nämlich vor allem dadurch gelöst, dass man laut um Hilfe brüllte, gelegentlich auch von interessierter Seite dazu veranlasst wurde, laut um Hilfe zu brüllen. Manchmal geschah irgendetwas, öfter kam es vor, dass von Politik, Verwaltung oder Wohnungswirtschaft Placebos verteilt wurden.
Wenn etwas geschah, dann rückten zunächst einmal auswärtige Helfer an, die erfanden dann ganz schnell das Rad neu – und zogen wieder ab, wenn nun wirklich keine Kohle mehr aus irgendwelchen Fördersäcken heraus zu drücken war. Vor allem aber wussten sie immer, was für die Menschen im Stadtteil gut war – denn das hatte ihnen ihr Auftraggeber ja schon gesagt. Sie schrieben herrliche Quartiersentwicklungs- oder Sanierungskonzepte, entwarfen tolle Modelle – und vor allem entdeckten sie immer wieder Gruppen, welche den Beteiligungsprozessen fern standen und denen unbedingt eine Stimme gegeben werden musste. Dass diese Stimmen dann überwiegend akklamierende waren, lag natürlich daran, dass die Konzepte und Modelle so toll waren, dass man nur in frenetischen Beifall ausbrechen konnte – und ein Verfügungsfonds kann auch schon das ein oder andere Wunder bewirken.
Am 18. August 2015 hat eine zunächst kleine Gruppe aus dem Kreis, der von Magna Mater (Große Mutter) Sozialdemokratie mit dem mitnichten wertschätzend gemeinten Begriff Beteiligungselite belegt worden ist, versucht, den Steilshooper Schematismus zu durchbrechen. Als am Tag darauf überall in Steilshoop grellrote Plakate standen, die fragten, ob Steilshoop zu viele Bäume hätte, als bei der Auftaktveranstaltung am Schreyerring nach gut zwei Stunden dreihundert Unterschriften zusammen kamen, wurde klar, dass wahrscheinlich zum ersten Mal in der Geschichte des Stadtteils eine echte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern drohte.
Es dauerte lange bis Magna Mater (Und die Mutter blicket stumm, auf dem ganzen Tisch herum) verstanden hat, dass der so bequeme Steilshooper Konsens aufgebrochen war. Gewohnt in den Kategorien der Parteipolitik zu denken, konnte dahinter nur eine Verschwörung des politischen Gegners stecken. So wurden die Arbeitsverhältnisse und die Parteizugehörigkeit von zwei Protagonisten des Bürgerbegehrens so miteinander verquickt, dass sie als ferngesteuerte Marionetten erschienen. Sicher gab es ein tiefes Bedauern, dass man solche Leute nicht mehr einfach nach „drüben“ schicken konnte. Natürlich hat auch „Kahlschlagstoppen“ anständig zurück gekeilt, aber das ist zum einen das Salz (oder genauer der Pfeffer) in der Suppe der politischen Auseinandersetzung, zum anderen gewinnen die Konfliktlinien dadurch erst Kontur.
So wurde es eigentlich schnell klar, dass es um zwei komplett unterschiedliche Vorstellungen von Bürgerbeteiligung geht. Magna Mater wünscht sich die guten alten Zeiten zurück, in denen die Repräsentanten des Volkes weise Beschlüsse fassen konnten, welche zwar dann noch mit (aus)gewählten Bürgerinnen und Bürgern besprochen werden, letztendlich aber so durchgesetzt werden. Stadtteilbeiräte oder vergleichbare Einrichtungen haben so die Funktion eines Kummerkastens. Den Initiatoren des Bürgerbegehrens im Konsens mit den 1.200 Steilshooperinnen und Steilshoopern, welche eine Unterschrift geleistet haben, ist aber daran gelegen, dass Projekte aus dem Stadtteil heraus entwickelt werden.
Allerdings war die Verhinderung des ganz wilden Fällens der Bäume im Steilshooper Zentrum erst ein halber Schritt. Wir haben nur etwas verhindert. Historisch wird unser Bürgerbegehren erst dann, wenn uns die Erfahrung aus dem Widerstand dazu nutzen, auch eigene Vorstellungen zu entwickeln und vor allem durch zu setzen.
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