Dinosaurier in Steilshoop

Vater und Sohn Alvarez haben sich geirrt: Ihre These, dass vor 63 Millionen Jahren ein Meteoriteneinschlag vor der mexikanischen Halbinsel Yucatan den Dinosauriern den Garaus gemacht habe, kann nicht stimmen, denn in Steilshoop wurde vor einigen Tagen ein Vieh dieser Art gesichtet.

Ganz genau ist die Gattung noch nicht bestimmt, aber die Mehrheit der Fachleute geht davon aus, dass es sich um einen Quasselosaurus archaicus communis (Gemeine altmodische Laberechse) handeln müsse. Vieles spricht dafür, dass man es mit einem weiblichem Exemplar der im Mesoertelianum (gelegentlich auch als Mesosatanianum bezeichnet) weltweit verbreiteten Art zu tun hatte.

Schon kurz nach dem ersten Auftreten des Monsters haben die Steilshooper das Tier ins Herz geschlossen und ähnlich wie bei der Chicagoer Tyrannosaurierdame (Sue) ihr einen menschlichen Namen gegeben: Vera.

Kann man sich einen passenderen Namen vorstellen? Wohl kaum, denn immerhin stammt das Wort von dem lateinischen Adjektiv „verus“, was auf Deutsch „wahr“ bedeutet, und Quasselosaurus archaicus communis ist an nichts so sehr interessiert wie an der Wahrheit. Schon in ihrer Hochzeit, eben im Mesoertelianum, fiel diese Sauriergattung immer wieder dadurch auf, dass sie ungeschminkt und gnadenlos Tatsachen aufdeckte. So schreibt die deutsche Wikipedia über unsere Vera: „Seit 2011 moderiert Int-Veen [= Vera] auf RTL die Dokusoap „Mietprellern auf der Spur“, welche zunehmend in die Kritik gerät, da die Authentizität der Sendung in Frage gestellt wird. Nachdem das Originalbildmaterial der Produktionsfirma an die Öffentlichkeit gelangte, wurde deutlich, dass durch nachträgliche Bearbeitung des Materials und das gezielte Weglassen von Szenen ein verzerrter, negativer Eindruck der Betroffenen herbei geführt wird. Auch soll sich Int-Veen widerrechtlich einen Zutritt zu der Wohnung der Gefilmten verschafft haben.

Mhm, ja, wo im Dienste der Wahrheit gehobelt wird, da fallen Späne – und wir wissen ja spätestens seit dem großen Medienanalytiker Donald Trump, dass Wahrheit erst mit dem entsprechenden Possesivpronomen (meine, deine, seine, unsere, eure, ihre Wahrheit) zur wirklichen und wahren Wahrheit wird – und erst als wirkliche und wahre Wahrheit landet sie dann auf den Flachbildschirmen.

Eigentlich ist das alles seit mindestens zwanzig Jahren, seit den Zeiten, wo im Deutschen Fernsehen bis zu 80 (!) Talkshows über die Sender gingen, bekannt, und eigentlich könnte es mir auch völlig egal sein, wenn sich trotzdem noch Menschen finden, die das Bedürfnis haben, vor einer ganz großen Öffentlichkeit sich zu blamieren. Keiner zwingt mich, den Quatsch anzuschauen.

Mich ärgert, dass die hässlichen Viecher sich wieder in Steilshoop und anderen ähnlich problembelasteten Stadtvierteln breit machen und hier zur Jagd blasen. Schon in den Hochzeiten der Talkshows haben ich und andere Aktive im Stadtteil im großen Stil Zettel abgerissen, auf denen alkoholabhängige Mütter, promiske Großmütter oder jugendliche Intensivtäter aufgefordert wurden, von ihrem harten Alltag zu berichten. In der Regel wird – sei es durch den Moderator, sei es durch die Talker selbst – aufgezeigt, dass das deviante Verhalten millieubedingt sei, also Steilshoop Schuld habe. Wer hier lebt, greift zur Flasche, wird zum Karnickel oder schlägt sich mit Einbrüchen durchs Leben.

Früher spielte sich so etwas im Studio ab; auf dem Einladungszettel, den ich leider erst nach dem Termin in meinem Briefkasten fand, für die Talkrunde unter dem Motto „Vera hört Dir zu!“ ist als Örtlichkeit ein Kiosk am Fritz-Flinte-Ring angegeben, also direkt neben dem Büd‘l, mit dem unser aller Elend noch einmal illustriert werden soll. Ich kann nur hoffen, dass dessen Trägerverein sich an der miesen Schmierenkomödie sich nicht beteiligt hat.

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