beten und verzichten – ein satirischer Einschlag

Melancholie liegt über dem nebelverhangenem Beton-Klinker-Stadtteil, der sich seit Jahrzehnten in löblicher Weise durch nichts auszeichnet. Nur Nostalgiker und QuartiersmanagerInnen reden gern noch von dem schlechten Ruf des Stadtteils in den achtziger Jahren. Schon länger aber frönt man hier puristischen und zurückgezogenen Lebensformen, die sich auf Jenseitiges spezialisiert haben. An-Irgendetwas-glauben-um-eine-Identität-zu-haben wird in Steilshoop groß geschrieben. Politische Akteure predigen wie Priester. Und Kirchen sind jetzt die bevorzugten Orte, an denen bezahlte QuartiersmanagerInnen ihre vorher mit den Behörden und Parteien abgestimmten Angebote an den Bewohner und die Bewohnerin bringen sollen. Dafür hat man sich darauf verständigt, daß am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, tüchtig für den Frieden gebetet wird. Überhaupt sind Friedensgebete im Stadtteil der letzte Schrei. Egal was in der Welt passiert, in Steilshoop wird energisch dagegen angebetet. Was? Hat man davon noch nichts in der Welt bemerkt? Löblich ist, daß die unterschiedlichen Sekten sich im Schulterschluß gegen den politischen Gegner immer einig sind. Rechts ist da, wo Leute anderer Meinung sind. So weit, so friedlich.

Schlichte Vorstellungen und bescheidene Lebensformen kommen hier gut zum Einsatz. Besondere materielle Bedürfnisse haben sich im Stadtteil nicht entwickelt. Mammonjünger und Gierlappen findet man hier nicht. Die geistlichen Ideologien schließen schnöden Materialismus aus, so daß die existenzielle Grundversorgung, die ein Discounter bereithält, zur vollsten Zufriedenheit der 19.000 köpfigen Bewohnerschaft ausfällt.

Ein nahezu leerstehendes Einkaufszentrum, gemahnt an überwundene Lebensdurchgangsphasen, in denen manchem, ein Supermarkt, ein Uhrmacher, ein Schuhgeschäft noch etwas bedeutet haben. Auch hier kann man jetzt nur noch beten.

Wozu für viel Geld einkaufen, wenn man auch umsonst zu Gott beten kann?

Der letzte Bäcker ist mittlerweile nur noch eine überwundene Erinnerung an kalorienhaltige Sünden. Einzig ein Schuhmacher hält sich, -der wie im vergangenen Jahrhundert- abgetretene Schuhe neu besohlt. Es erscheint als bedürfnisangepaßte Antwort auf die Aktivitäten der Bezirksbeglückerinnen. Diese sorgen in aufsehenserregenden Projekten wie „keine Stolperfallen für Senioren“ dafür, daß Senioren ohne die Füße über Bodenunebenheiten heben zu müssen, also altersgerecht, durch den Stadtteil schlurfen können. Die Besohlung der durchgeschlurften Pantoffeln ist die letzte Dienstleistung, die im Konsumtempel noch vorgehalten wird.

Ansonsten besteht das kleine Glück in der Mietswohnung im 7. Stock mit Ausblick auf die Welt jenseits der Steilshooper Allee. Zurückgezogenes Wohnen, Beten und Arbeiten, immer häufiger nach Geschlechtern getrennt, machen das graumelierte Quartier zu einem Ort der Ruhe, Besinnlichkeit und Selbstaufgabe.

Auch Verkehrsberuhigtheit kennzeichnet die entschleunigte Bewohnerschaft, da falsche Begehrlichkeiten wie protzige Autos nicht zu den anvisierten Zielen der auf geistige Erneuerung dringenden Bevölkerung gehört.

Nun aber ertönt eine Kampfansage an die Einwohner, die an Aufdringlichkeit grenzt. Die abgeschiedene Klosteranlage St.Eilshoop soll an die Welt angeschlossen werden. Nachdem die Ureinwohner vor 40 Jahren –in ihrer Jugend- noch an eine U-Bahn glaubten, ja eine U-Bahn ersehnten und erflehten, um an ihre Arbeitsplätze zu gelangen, soll diese ihnen nun das Senioren- und Greisenalter verklären. Und weil man sich hier nun an die letzten Dinge begibt, kann der gesellschaftliche Widerspruch nicht schärfer ausfallen. Während ein christlicher Einkaufshilfeservice, die wackeligen Bewohner zu den letzten Einkäufen im letzten Laden begleitet, streitet sich nun ein Stadtteil, um die nicht mehr gewollte oder so nicht gewollte weltliche Schnellanbindung.

Höllenschlund statt Tunnelmund

Vierzig Jahre schien es klar, daß die ersehnte U-Bahn in der Ortsmitte, zwischen Kirche und Konsumtempel errichtet werden würde. Besser noch. In voraussehender Freude wurde die Kirche in eine grubenartige Vertiefung gepflanzt, näher der Hölle als dem Himmel, aber in innigster Nähe zu den erhofften U-Bahnzügen voller Schäfchen. Auch wuchsen die Hochhäuser höher als zuvor geplant in den Himmel: zentrale Lage gleich mehr Geschosse gleich mehr Miete.

Unzählige Planungsbüros versuchten im steten 4-Jahres-Rhythmus ihr Glück, immer kurz vor der Wahl. Nun gab es auch diesen Sommer einen neuen Mobilitätsabsichtserklärungsversuch.

Aufmarschiert waren HVV-Fachleute, Verkehrsplaner, der Bezirksamtsleiter, gutgelaunte Moderatoren zuhauf und die Bewohner, einschließlich ihrer aufsässigsten Vertreter im Hochzeitssaal der Nationalitäten.

Es wurde eine Vorzugsvariante vorgestellt, die Oh Wunder! als besonders vorzüglich eine neue Haltestelle favorisierte: „Schreyerring“, nun zwischen Konsumtempel und ungebautem Campus gelegen. Eine Variante, von der erklärt wurde, daß sie mehr Bürger erreichen würde, als die stets anvisierte Gründgensstraße. Besonders originell für den Verkehrsablauf, weil hier der Übergang zu den Bussen so gar nicht gegeben ist. Das hätte den Vorzug, so erklärten später besonders Berufene, daß das tote Einkaufszentrum durch die zum Bus eilenden Passanten in neuer Weise belebt werden würde. Interessante Vorstellung, daß nicht Geschäfte und Läden, sondern eilig hastende Bus /U-Bahnnutzer ein marodes EKZ zu neuem Leben oder gar zur Auferstehung erwecken. Auch würde durch die statistisch ermittelten Daten der Länderzuschuß zum Großprojekt großzügiger ausfallen. Aha! Daher weht der Wind. Und schließlich hätten die Campusnutzer, wenn dieser dereinst stehen (und nicht leerstehen) sollte, auch einen flotten Verkehrsanschluß.

…aber hier mit Bäumen werben

Bellevue von der Superbank

Zuzüglich soll nun dort, wo das Vorzugsvariantenteam den neuen U-Bahneingang plant, jetzt sofort schon ein neuer Marktplatz gebaut werden. Dieser hätte den Vorzug, daß 58 luft- und schattenproduzierende Bäume gefällt werden können, um mehr ruhenden Verkehr (neudeutsch für Parkplatz) zu ermöglichen. Auch ist eine Betonwüste ohne Grün für Planer mit ausgeprägten Abnormitätsmerkmalen deutlich attraktiver. Seltsam nur, daß auf ihrer Werbeskizze eine grüne Allee erscheint, dafür nur ein Auto, und viele hübsche Frauen ohne religiöse Kennzeichnung. Die Attraktion des Platzes werden zwei lange Holzbänke sein (nach Geschlechtern getrennt?), die einem ästhetikimmunisiertem Betrachter einen unüberbietbar scheußlichen Blick auf die abgetakelte Konsumruine offerieren werden. Das mag nur einen Jungfernstieg-Hamburger schockieren, ein Steilshooper hingegen härtet sein Bedürfnisstreben und sein Harmonieempfinden bei diesen Exerzitien ab, um weiterhin der Lehre der großen Vorbeter fromm folgen zu können. Auch daß der sterbliche Mensch an nichts festhalten soll, wird in dieser Übung gelehrt. Einmal ein Markt- und Eventplatz, soll dieser nur 4 Jahre Bestand haben, um durch erneutes Grubengraben die Vorstellung auf das Ende hin besser begreiflich zu machen. Der gläubige Mensch soll sich an nichts anhaften, und sei es noch so öde. Wozu Religion doch gut sein kann. Einmal dem Fachpersonal für Jenseitskunde geglaubt und schon ist es einfacher auch Städteplanern und Politikern zu vertrauen. Was sind schon 3, 5 Millionen, die nach 4 Jahren wieder untergepflügt werden? Warum sollte der Rechnungshof ausgerechnet in Steilshoop ein Veto einlegen? Oder weltlich betrachtet: Warum nur einmal Baulärm, wo man ihn auch zweimal haben kann?

Und das Beste kommt am Schluß: ein Markt- und Eventplatz. Seltsam, wo der größte Teil der Einwohner altermäßig eher zu Beerdigungen als zu Partys geht und für die jüngeren die Mode zum schwarzen Rundumtuch tendiert. Welche Marktbeschicker sind das, die darauf gieren Schweinswürstchen und Likör in Steilshoop zu verkaufen? Welcher Eventveranstalter besteht auf der stylischen Partymeile „Schreyering / Fehlinghöhe“? Sicher findet dort einmal im Jahr im September ein internationales Kinderfest mit Hüpfburg und ohne Alkohol bis 18 Uhr statt, aber es deswegen gleich für viel Geld zur „Eventfläche“ zu erklären? Und warum müssen Norddeutsche überhaupt auf einer verregneten Straße feiern? Weil sie nicht ins Einkaufszentrum sollen? Ihren schönen großen Theatersaal mit überdachten Freiflächen hat man vorsorglich, zu ihrem eigenen Besten, abgerissen. Jetzt muß man den Steilshoopern nur noch einbeten, daß auch die großen Bäume ein überflüssiges Relikt aus den Zeiten der Sünde darstellen und nur ein Platz, bar der Bäume, ein zeitgemäßer Stadtraum–Albtraum ist.

Zurück zur interessanten Informations- und Glaubensveranstaltung bezüglich der U-Bahn. Dort wurde durch einen übereifrigen Bewohner ein Meinungsbild in Bezug auf beide Haltestellenoptionen angeregt. Mitten in der Informationsveranstaltung wurden Hände gehoben. Bevor noch alle Fakten erörtert waren, bevor noch Planungen in Bezug auf Bustaktung erfolgten, bevor die Bewohner auch nur eine Nacht über den Fachvortrag schlafen konnten oder gar die Chance hatten eine Meinung mit dem Nachbarn zu besprechen. Dieses Meinungsbild, von dem bis zum Schluß – auch vom höchsten Beamten – gesagt wurde, daß es eine vorläufige Position markiere, ist nun quasi über Nacht – im Rahmen der heiligen Wandlung – eine vollendete Bürgermitbestimmung geworden.

Verbirgt sich hier ein Phantom-Bahnhof?

Nun ist guter Rat teuer und bevor noch mehr Stadtteilmoderatoren für viel Geld eingeflogen werden, hier eine gute innovative den Frieden erhaltende Idee: Laßt die U-Bahn Station einfach mitten im leeren Einkaufszentrum entstehen. Die Vorteile liegen auf der Hand: keine Bäume müssen gefällt werden, die Gründgensstraße als Hauptverkehrstrasse wird nicht jahrelang durch Baustellen blockiert, der Schreyerring mit Platz wird nicht wieder aufgebuddelt, die Anwohner werden durch keine Baustellen genervt und weil eh keiner dort mehr einkauft, kann es dort auch niemanden stören. Und dann kann man es auch letztlich als göttliches Mirakel verkaufen. Gemäß dem Motto: …und eine Stimme sprach: Upps, da ist ja eine U-Bahn! Aus dem Einkaufszentrumsgrab ganz plötzlich auferstanden. Oh welch ein Wunder! Unterirdisch überirdisch! Also lasset uns dafür beten.

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2 Kommentare

  • Martin Kersting

    Mert-Sekert hat recht: Das konkurrierende Dream-Team Satan, Schejtan und Deubel hat uns sicher schon auf dem Zettel.
    Na ja, und das mit der U-Bahn ist bekanntlich ja auch eine Glaubensfrage.
    Die schrecklichste der Schreckenversionen des Kommentators wird aber wohl nicht Wirklichkeit werden. Weitere zehn Jahre SPD-Herrschaft sind schon deswegen ausgeschlossen, weil eine Apotheose die hiesigen Sozialdemokraten auf den Olymp entführt hat, und sie von dort aus weiter Ferne das Treiben von uns Irdischen nur schemenhaft erkennen können. Zwar sind die Gazetten wohl gefüllt mit übler Botschaft für die hiesigen Jünger des Olafs, aber was stört’s den Mond, wenn ihn die Hunde anbellen.
    Unsere Olympier haben auch wahrlich Wichtigeres zu tun, als sich um pieselige 3,5 Millionen € zu kümmern. Bedeutender erscheint ihnen zum Beispiel die Entwicklung der Städtepartnerschaft zu dem Ägäishafen Piräus, zwar nicht gerade die Perle des Mittelmeeres, aber zum einen deutlich näher am Olymp gelegen, zum anderen das ultimative Leitbild für Steilshoop, oder genauer das Leitbild für St.Eileshoop aus der faszinierenden Darstellung von Ikon. Noch ist Piräus scheußlicher als St.Eileshoop, aber man kommt viel besser von dort weg: Die U-Bahn nach Athen oder die Fährverbindungen zu den Inseln lassen eine Hoffnung des Entkommens erahnen.
    Und was haben wir? Die Linie 7, welche uns aber in den Kreiseln ähnlich seekrank macht wie ein alter Ägäisdampfer im Sturm. Hier erwachen die Sehnsüchte nach Samos, Lesbos, Chios, Kos, Rhodos oder Kreta – und die heimische Melina Merkouri stehet an der Bushaltestelle und schauet auf die Straße, die Kreisel und den Verkehr.

  • Mert-Sekert

    Über diesen schönen Artikel wird das Dreamteam der phantastischen Literatur Jahwe, Allah und Jesus aber not amused sein. Und als Folge wird dann die U-Bahn garnicht kommen, weil Du, liebe Ikon, die neurotischen Göttchen verärgert hast und sie Steilshoop strafen werden: Keine U-Bahn und weitere 10 Jahre SPD-Herrschaft

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