Bürgerbeteiligung in der aktuellen Quartiersentwicklung. Sommer 2019

Drei Jahre sind vergangen, als ich auf Forum Steilshoop einen Artikel zu diesem Thema veröffentlicht habe, so dass es schon notwendig ist, auf das Erscheinungsdatum zu schauen, um zu erfahren, was mit „aktueller Quartiersentwicklung“ dort gemeint sein könnte. Vieles ist in Fluss geraten, aber es gibt auch Konstanten:

Ärgern wir uns zunächst über letztere: Auch drei Jahre später gilt der damals geschriebene Satz: „Es gibt [sic. in Steilshoop] keine kommerzielle Infrastruktur, große Teile der Siedlung sind vom sozialen Verfall bedroht, die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung tendieren gegen Null.“ Traurig stimmt, dass nicht einmal ein Versuch zu erkennen ist, wenigstens auf einem der Felder Abhilfe zu schaffen. Ja, es steht zu befürchten, dass durch die Mieterhöhungen der Vonovia für viele Menschen sich die soziale Situation noch einmal verschlechtern wird.

Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist zwar als Thema deutlich virulenter in Erscheinung getreten (s.u.), aber die Praxis sieht eigentlich genau so trostlos aus wie vor drei Jahren. Formal gesehen – obwohl RISE-Gebiet – gab und gibt es in Steilshoop kein größeres Projekt, bei dem Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils mitarbeiten konnten. Die Gründe dafür sind im Vorgängerartikel dargelegt.

Nach wie vor z.B. werkeln die Institutionen, welche in das Quartierszentrum einziehen sollen, so ziemlich im Verborgenem vor sich hin; spärliche Informationen bekommt man eigentlich nur aus den Kreisen, welche Presseagenturen als wohlinformiert kennzeichnen würden. Komplette Ignoranz gegenüber den Beteiligungsgremien ist seitens der Schulen zu verzeichnen.

Unter diesem Aspekt – aber nur unter diesem – ist das Verhalten der Hochbahn schon fast eine löbliche Ausnahme. Zum einen hat sie an allen zentralen Gabelungen der Planung umfangreich informiert, zum anderen hatten Stadtteilvertreter auch zahlreiche Möglichkeiten, mit den Verantwortlichen zu sprechen. Zwar hat es kein befriedigendes Ergebnis für die aus Bramfelder und Steilshooper Sicht eigenartige Streckenführung der U 5 gegeben, aber es sind durchaus einige Anregungen zur Verbesserung des Busverkehrs aufgenommen worden.

Die Definition des Begriffes „Beteiligung“ ist zwischen den für die Projekte Verantwortlichen und den Aktiven in Steilshoop auch nach weiteren drei Jahren nicht geklärt. Während die diversen Verwaltungen – und ihnen in der Regel folgend die Politik – einen Informationsabend oder einen Workshop mit vorformulierten Ergebnissen für ausreichend halten, steht man in Steilshoop auf dem Standpunkt, dass komplexere Problematiken in einem dialogischem Prozess geklärt werden müssen, der eben auch Zeiten des Nachdenkens und der Meinungsbildung benötigt.

Ein Paradebeispiel dafür ist die beabsichtigte Bebauung des Nordrandes von Steilshoop. Hier sind das Bezirksamt und die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) der Ansicht, dass ein im Jahr 2013 stattgefundener Workshop, dessen Ergebnisse zudem noch in dem Abschlussbericht nur sehr partiell wieder gegeben worden sind, als Beteiligungsverfahren ausreichend gewesen sei.

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Fromme Wünsche – auch für Nichtfromme

Manchmal tut es auch nichtreligiösen Menschen wie mir ganz gut, einen Gottesdienst zu besuchen. Verstrickt in das Getriebe der Stadtteilpolitik neige ich dazu, mein Quartier schlechter zu sehen als es vielleicht in Wirklichkeit ist, eben weil man ständig darüber nachdenkt, was alles schief läuft, wo man den Hebel ansetzen muss, um das Leben vor Ort besser zu machen und mit wem man sich rumschlagen soll, um diesen oder jenen Missstand aus der Welt zu schaffen.

Jan Brueghel d.Ä. – Predigt Johannes des Täufers. Um 1598. Ausschnitt

Anfänglich war es mehr das Pflichtgefühl denn die Neigung, den gemeinsamen Gottesdienst zum 50. Geburtstag des Stadtteils der Steilshooper Religionsgemeinschaften zu besuchen. Die evangelische Martin-Luther-King-Gemeinde, die katholische St. Johannis-Gemeinde und die Steilshooper Moschee hatten dazu eingeladen. Trotz des nicht gerade berauschenden Wetters sind rund 100 Menschen dieser Einladung gefolgt.

Eindrucksvoll und sicher für viele Steilshooper neu war die Form des Gebetes (Salāt) durch den Imam der Steilshooper Gemeinde. Die reiche religiöse Kultur des Islams konnte hier verspürt werden – und war vielleicht für den ein oder anderen eine Anregung, sich weiter mit diesem Thema zu beschäftigen.

Die sehr persönliche Ansprache von Renata Kustusz, Pastoralreferentin der katholischen St. Johannis-Gemeinde stellte die Schönheiten von Steilshoop in den Mittelpunkt ohne die Probleme zu verschweigen. Es lohnt sich, sie im Wortlaut wieder zugeben:

50 Jahre Steilshoop – ein schönes Jubiläum. Und so ein Ereignis weckt Erinnerungen:

Seit 28 Jahren ist Steilshoop auch mein Zuhause. Ich kann mich noch sehr gut erinnern an die Zeit, als wir nach Steilshoop kamen. Wir wohnten im Erich-Ziegel-Ring im Parterre, hatten eine schöne Wohnung mit Terrasse und einen kleinen Garten.

Als Zugezogene haben wir uns unseren Nachbarn vorgestellt und erfahren, dass viele von ihnen einen Migrationshintergrund haben: Italiener, Spanier, Kroaten, Serben, Afghanen, Türken, Polen, Russlanddeutsche und Deutsche aus Ostdeutschland. Hinter der Wand hatte man die ganze Welt. Reisen musste man nicht, um etwas über das Leben und die Bräuche in vielen Ländern zu erfahren.

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Steilshooper Mythen oder wie funktioniert ein Stereotyp? [Teil 4]

Vor rund 10 Jahren habe ich den folgenden Text als Vortrag im AGDAZ gehalten. Nach Teil 1 und Teil 2 sowie Teil 3 folgt heute der 4. und letzte Teil.

Da Steilshoop schon in einer frühen Phase als sozialer Brennpunkt 1 beschrieben wurde, und dieser Ausdruck durchgehend als Stereotyp für die Großsiedlung im Allgemeinen und Steishoop im Besonderen verwandt wurde, heftete man auch gleichzeitig den Bewohnern ein Stigma an, mit dem sie bis auf den heutigen Tag leben müssen.

Stereotyp ist nicht ganz einfach zu definieren, weil psychologische Aspekte eine wichtigere Rolle als sprachlich-rhetorische spielen. Weiterlesen

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Steilshooper Mythen oder wie funktioniert ein Stereotyp? [Teil 3]

Vor rund 10 Jahren habe ich den folgenden Text als Vortrag im AGDAZ gehalten. Nach Teil 1 und Teil 2 folgt heute der 3. Teil.

Die gleiche Tendenz, nur etwas direkter und nicht ganz so hinterfotzig ein sechs Jahre jüngerer Artikel aus dem gleichen Blatt. Es geht um die Ghetto Rockaz, die tatsächlich in den neunziger Jahren eine ausgesprochen unerfreuliche Erscheinung im Stadtteil waren. Die Definition der Gang nach BILD: „Das ist eine Bande von 40, 50 Jungen. Diese 13 bis 21jährigen Türken, Afrikaner und Osteuropäer sind ja stadtbekannt durch ihre Gewalt. Sie treffen sich jeden Tag am Haus der Jugend.“1 Zwei auch aus dem anderen BILD-Text bekannte Gegner werden auf einmal abgefrühstückt. Ausländer und die öffentliche Institution Haus der Jugend. Wie beim „Abendblatt“ auch wird eine Unmasse von Zeugen benannt und so der Eindruck einer seriösen Recherche vermittelt. Die Namen der Gewährsleute verdeutlichen, dass es sich um einen Krieg der Nationalitäten oder gar Rassen handeln soll: Jan, Jens, Norbert, Susanne, Martin, Andreas, Bernd … vertreten das Ariertum, während der einzige namentlich genannte Gegner einen türkischen Namen trägt. Auch in diesem Opus gibt es das Element, das jeden modernen Krieg kennzeichnet: Flucht und Vertreibung: „Für uns steht fest, daß wir hier so schnell wie möglich wieder wegziehen!“ Weiterlesen

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Stadtteiljubiläum 2019 – So steht es um die Vorbereitungen

Manchmal beschleichen einen schon Zweifel – und zwar dann, wenn die Sozialdaten für unseren Stadtteil an die Oberfläche des Schreibtisches gespült werden, wenn man sich in die Nähe des immer noch so genannten Einkaufszentrums begibt oder man einen Brief der Vonovia in seinem Postkastenkasten vorfindet. Darf ein Quartier, dem es objektiv so schlecht geht, überhaupt ein rauschendes Fest zu seinem fünfzigsten Geburtstag feiern? Ist es nicht vielleicht zynisch, wenn auf dem Marktplatz getanzt und gesungen wird und gleichzeitig nur einen Straßenzug weiter ein Gerichtsvollzieher eine Zwangsräumung vollstreckt, weil einer unserer Mitbürger die Mieterhöhungen nicht mehr verkraftet?

Dass ich trotzdem Tag für Tag weiter an der Vorbereitung des Jubiläums arbeite, liegt sicher auch daran, dass ich vor etlichen Dekaden die Johannes-Gutenberg-Universität zu Mainz besucht habe. Natürlich lehrt auch die dortige Alma Mater nicht, wie man in einer üblen Welt sich die notwendige Lebensfreude erhält, um diese ein klein wenig besser zu machen. Das machen die Meenzer: Die Lage mag noch so schlecht sein, sie lassen sich ihre Pappnase und ihren Schwellkopp nicht nehmen und machen eben Kokolores.

Nun lebe ich aber auch schon seit vielen Jahren in Hamburg – und hier hat man mir beigebracht, dass die Pappnase nicht die Antwort auf sämtliche Fragen des Lebens ist. Der Hanseat feiert zwar ab und zu auch einmal ganz gerne – aber alles mit Maß und mit Stil. Weiterlesen

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Brauchen wir wirklich die Abrissbirne?

Bis vor wenigen Jahren bedeutete das Errichten eines Hauses Denken in Generationen. Sowohl private als auch öffentliche Bauherren haben sich über die Jahrhunderte hinweg bemüht, ihren Nachfahren Strukturen zu hinterlassen, welche sowohl dem öffentlichen als auch dem privaten Wohl dienen sollten.

Natürlich wechseln die Nutzungen jeweils nach den Bedürfnissen der Menschen: Ein Kaispeicher wird zur Konzerthalle, ein Bahnhof zum Rathaus, ein Kloster zum Irrenhaus oder Gefängnis und ein Wasserwerk zu einem Parlament.

Seit dem späten 20. Jahrhundert ändert sich diese Einstellung. Vor allem große Bauten werden oft als Abschreibungsobjekte betrachtet und nach vierzig oder fünfzig Jahren abgerissen, wie den Steilshoopern in der benachbarten City Nord drastisch vor Augen geführt wird. Als Begründung muss oft die beabsichtigte Energiewende herhalten. Tatsächlich sind Bauten, die vor der ersten Energiekrise 1973 geplant worden sind, regelrechte Fresserinnen von fossilen Brennstoffen. Allerdings wird so gut wie nie die Gegenrechnung nach dem Energiebedarf für Abriss und Neubau derartiger Gebäude aufgemacht. Zudem sind die Möglichkeiten der energetischen Nachrüstung heute so, dass sich Bauwerke aus den sechziger und siebziger Jahren in der Energienutzung kaum von modernen unterscheiden müssen (der Umbau natürlich auch unter erheblichem Einsatz von Energie).

In Steilshoop argumentiert man noch platter: Wichtige Baulichkeiten des Stadtteils müssen verschwinden, weil über deren Grundstücke ein Schulneubau finanziert werden soll. Nachdem der größere Teil des Bildungszentrums zu Betonstaub verarbeitet worden ist, könnten schon im Herbst des nächsten Jahres die Bagger anrücken, um dem traurigen Rest der vormaligen Gesamtschule und dem längst nicht so traurigem Rest der Schule am Borchertring (für die Älteren: die Schule Seeredder) das gleiche Schicksal zu bereiten.

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